Wieder steht er auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Mirko Bonné, ein Schriftsteller, der sein Handwerk sehr gut beherrscht, der es versteht, eine Atmosphäre zu kreieren, die einen Sog entwickelt in das Innenleben des Hauptprotagonisten hinein, in seine Verzweiflungen und Widersprüchlichkeiten. Es sind immer tragische Figuren, die vom Leben in eine Tiefe gerissen wurden, aus der heraus sie einen anderen Blick für die Nuancen von Dunkelheit und Helligkeit entwickeln. Und das ist der einmalige Lesegenuss an den Romanen Bonnés, dieses besondere Gefühl eines vom Leben Mitgenommenen, der nicht nur die Schattenseiten, sondern auch die leuchtenden Momente besonders intensiv beschreiben kann, immer begleitet von einem ganz speziellen Glück der Melancholie.
„Lichter als der Tag“ beschreibt eine Vierecks-Liebesgeschichte, die sich seit der frühesten Jugend bis in die Jetzt-Zeit des 50 jährigen Raimund Merz fortsetzt. Brüche, Pausen, Betrug und Schmerz sind die Komponenten in diesem Liebesreigen und das Gefühl, die eigentliche große Liebe verpasst zu haben. Merz ist sehr wohl bewusst, dass auch dies eine Illusion ist.
Zwei Ehepaare, zwei „Wahlverwandtschaften“, scheitern im Kampf um das Lebendigfühlen im Alltag. Es ist eine Kunst, die Charaktere in der Beziehung zueinander lebendig werden zu lassen. Ihre Eigenarten erscheinen durch die Reaktionen aufeinander. Alle vier sind verlorene Kinder. Moritz verliert seine Eltern bei einem Autounfall, Raimund wächst ohne Vater auf, das dänische Mädchen Inger, in das sich beide Jungs verlieben, verlor seine Eltern bei einem Bootsunglück. Und Floriane ist von einer ehrgeizigen Mutter besessen.
„Es lag vielleicht an der Monotonie einer täglich vierundzwanzig Stunden lang abgesicherten Existenz, eher aber an der festgefahrenen Lage, ja der einzementierten Schieflage der späten mittleren Jahre, wenn ein Ehemann und Vater, ein erfahrener Mann wie Raimund Merz praktisch stündlich damit rechnete, dass alles in sich zusammenstürzte und die Trümmer wie Schaumstoff den Bach runtergingen.“ (S.32)
Für Merz ist die Ehe mit Floriane zu einem Betrug am eigenen Leben geworden, eine Geschichte der Entfremdung. Es gibt aber auch eine Geschichte über eine beinahe unbemerkt gewachsene Männerfreundschaft: Bruno De Witt, sein Kollege bei einem großen Hamburger Blatt, für das beide schreiben, bezeichnet selbst seine Sucht nach immer wechselnden Bettgefährtinnen als philosophischen Don Juanismus:
„Im Selbstvergessen der Umarmung, im Hochgefühl der Lust sei der Liebhaber dem Wortsinn nach der, der lieb habe. Das Leben liebe er, so sehr, dass er den Tod auszulöschen versuche, indem er die Zeit zum Stillstand bringe.“ (S.97)
Dieser Lebemann belügt sich nicht. Und Merz denkt viel nach, über seine Lieben, über seine Freundschaften und muss über die Erinnerungsreisen in seine Beziehungswelten Eingeständnisse machen, die weh tun.
Es ist ein Gemälde, das ihn zurückzieht in eine Gegenwart, in der er das Vergangene und das Jetzige neu zusammensetzt. Camille Corots Gemälde vom „Getreidefeld im Morvan“ beschreibt das Licht, das Lebensgefühl, das sich ihm damals als Jugendlichem im Garten mit den Freunden eingebrannt hat. Um sich zu retten, um sich aus seinem falsch gewordenen Leben zu befreien, entführt Raimund Merz seine 11- jährige Tochter Linda, reist mit ihr nach Frankreich, wo er das Gemälde im Museum von Lyon wiederfindet. Über das Bild findet er zurück in sein Leben, zu seiner Liebe und es ist unglaublich kitschig, aber schön: „Er wusste, gleich würde er sie spüren, doch solange er sich bewegte, kam es ihm vor, als ginge er in Camille Corots Bild hinein.“ (S.330)
In Mirko Bonnés Geschichten gibt es immer einen Parallelerzählstrang. In „Wie wir verschwinden“ war es das Schreiben und die Geschichte Camus, in „Nie mehr Nacht“ sind es in der Normandie die Brücken, um die herum die Kämpfe 1944 am D-Day stattgefunden haben. Hier nun in „Lichter als der Tag“ ist es die Malerei der späten Romantik als Vorläufer zum Impressionismus. Und es sind ein bisschen Insekten, Flügeltiere, die den nicht zu Ende studierenden Biologen Raimund Merz interessieren. Im Unterschied zu den beiden anderen Büchern ist hier der Parallelstrang schwach ausgeprägt. Aber gerade das hatte mir gefallen, und davon hätte ich mir mehr gewünscht, dass ich über einen Wissensbereich, den ich vielleicht nur andeutungsweise kenne, etwas Näheres erfahre und mich die beschriebene Person über ihre Beziehungsverhältnisse hinaus interessiert.
Mirko Bonné: Lichter als der Tag, Schöffling & Co, Frankfurt am Main, 2017
Schön und treffend Deine Charakterisierung seiner Erzählweise eingangs, der Blick für die Nuancen von Dunkel- und Helligkeit. Sein jüngstes Buch habe ich zwar noch nicht gelesen, aber genau dieser Blick war es, der mir bei den anderen Büchern Bonnés bislang auch sehr zusagte.
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Danke, liebe Birgit, das ist dann auch der Grund, warum manche Autoren aufgrund dieser subjektiven Empfindung an einem kleben bleiben.
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