Ex-Alphamännchen im Rentenalter knallt mit voller Kraft voraus gegen eine Schwimmbeckenwand im Konkurrenzschwimmkampf mit einer jungen Frau. Zu Hause in seinem Badezimmer bleibt er auf den Fliesen einfach liegen und versucht, sein Selbstbild, seine Lebensgeschichte, seine Beziehungskisten zu retten. Natürlich muss sich Julia Wolf hier einer Menge von Stereotypen bedienen, um dieses völlig überlebte Männerleben zu skizzieren und ja es ist enervierend, wenn die Typologie so wenig kreativ ist. Trotzdem.
Wir sehen einen 68 Jahre alten Herrn mit Ohrstöpseln und Badekappe vom Schwimmbad nach Hause fahren. Im Badezimmer auf dem Boden liegend versucht er noch einmal, sich seiner selbst zu vergewissern, indem er sich seinen Erinnerungen als toller Hecht hingibt. Dass die momentane Selbstwahrnehmung aus dem Ruder gelaufen ist, wird schnell klar. Der Protagonist gerät bei der Selbstrekonstruktion erheblich ins Straucheln. Der verzweifelte Versuch, die Männlichkeit zu retten. „Natürlich, Herr Nowak, werden wir versuchen, potenzerhaltend, Herr Nowak, zu operieren.“ (S.69) In der ersten Hälfte, in der die Sprache sehr von den abgerissenen Gedanken, die einfach nicht zu Ende gedacht werden können, weil sie immer nur Teilbilder enthalten, gezeichnet ist, nervt dieser Typ schon fast. Im zweiten Teil, in dem er mit seiner eigenen Dekonstruktion an die tiefen Untiefen rührt, in seiner Geschichte als „Bastard“, als Kind eines GIs, das seinen Vater nie kennenlernte, da wird der Ton noch einmal ganz anders. Es ist, als ob er eine Zeit lang an der Peripherie herumkreist, bevor er an den Kern rührt mit der Geschichte seines Verhältnisses zu seinem Sohn. Nachdem er seine erste Frau mit Kind verlassen hatte, der Blick des Kindes, da werden die konstruierten Konturen aufgelöst, da kommt der Walter Nowak zum Vorschein, um den es jetzt geht, hier auf dem Fliesenboden.
Gegen Ende, als zum endlich losbrechenden Wärmegewitter dieser Sohn vor der Tür steht, wird es kitschig, macht aber nix, gehört hier dazu. Er denkt am Anfang an eine Reportage über Delfine „in Gefangenschaft, die Selbstmord begehen, indem sie immer wieder gegen die Beckenwand schwimmen.“ (S.23) Die Geschichte dazwischen ist die Geschichte von Walter Nowaks Lebenshamsterrad, aus dem er sich nicht herausdenken kann. Es ist die einfache Umarmung des Jungen, die er nicht kommen sah und die alles ins Wanken bringt.
„In der Umarmung des Jungen, diese Stille. Ich liebe ihn. Und er mich. Komme, was wolle.“ (S.156) Ist das zu einfach? Vielleicht, vielleicht nicht. An manchen Stellen schafft Julia Wolf mit dieser prägnanten Sprache den direkten Zugang.
„Hier liege ich nun. Ich weiß, wie das aussieht. Das sieht eindeutig aus. Aber ich kann das erklären.“ (S.158) Darum ist es Julia Wolf wohl zu tun: um die Selbsterklärungsmuster. Also ob nun die historische Dimension dieses kleinen Romans über diese Nachkriegs-Aufbau-Geschichte irgendjemandem irgendetwas Interessantes zu erzählen hat, ist fraglich. Es ist ein Unterhaltungsroman, der uns ein Psychogramm erstellt, das, weil wir diese Typen kennen, schnell wieder vergessen. Aber wer mehr die Sprachkunst liebt, findet hier eine besondere Erzählung.
Auf der Longlist für den deutschen Buchpreis 2017.
Julia Wolf: Walter Nowak bleibt liegen. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a.M., 2017
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