Es scheint zur Zeit ein Thema zu sein: die Behandlung von Hysterikerinnen mittels Hypnose in der Salpetrière in Paris Ende des 19. Jahrhunderts. Netflix hat eine Mystery Serie mit dem Titel „Freud“ herausgebracht, die den jungen Psychoanalytiker zeigt, wie er mittels Hypnose mit einer jungen Frau arbeitet, die mit Geistern spricht. Warum wurde die Hypnose von Freud und anderen behandelnden Ärzten damals aufgegeben? Dazu gibt es offizielle Begründungen und inoffizielle Spekulationen.
Charcot, der Arzt, der sich mit dieser Methode ein lebenslanges Denkmal gesetzt hat, ist berühmt berüchtigt für seine Versuche, bei denen einem öffentlichen medizinisch orientierten Publikum die in Hypnose versetzten Frauen den „Arc de Cercle“, das Durchbiegen des Rückens und Entgegenstrecken des Geschlechts, präsentierten.
Von diesem Ort erzählt die junge Autorin, von den Umständen, wie es dazu kam, dass junge Frauen in der Salpetrière, ehemals vorgesehen für Arme und Kranke, behandelt wurden, wie sie benutzt wurden, in Einzelfällen auch mitgespielt haben um einer zweifelhaften Berühmtheit willen. „Die Krankheit beraubt jeden seiner Menschlichkeit.“ (16)
Die Geschichte ist rund und stimmig vom Storyplot her. Die Hauptprotagonistin ist eine junge Frau aus gutbürgerlichem Haus, die von ihrer Familie verstoßen wird, weil sie mit den Toten spricht. Eine Krankenschwester in der Salpetrière, deren bisheriger Lebensinhalt darin bestand, den Arzt Charcot zu vergöttern und die Methoden in der Salpetrière anzuwenden und zu verteidigen, erfährt einen grundlegenden Wandel durch die Begegnung mit dieser jungen Frau. Nachdem mein Fokus sich aber im ersten Teil nach einigen sprachlichen Holprigkeiten daran festgebissen hatte, wollte ich das Buch schon in die Ecke pfeffern. Auffälliger Patzer: „Alles gut“ (25). Eine Redewendung des letzten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts. Auch der Begriff der psychischen Störung (28) dürfte damals nicht geläufig gewesen sein. Gleichzeitig störten mich aber auch die für die damalige Zeit gängigen Begriffe der Geisteskranken und Verrückten, die so oft zur Bezeichnung dieser Frauen verwendet werden, dass man gar keine andere Perspektivmöglichkeit mehr hat. Der ursprünglichen Absicht, die das Buch verfolgt, einen differenzierteren Blick auf die Umstände und Erscheinungsbilder der Hysterie zu liefern, geht es damit verlustig.
Es hat mich erstaunt, dass dieses Buch In Frankreich als bestes Debüt des Jahres ausgezeichnet wurde. An der Übersetzerin Julia Schoch liegt es jedenfalls nicht, dass mich dieses Buch sprachlich nicht überzeugt hat.
Victoria Mas: Die Tanzenden
Aus dem Französischen von Julia Schoch, Piper Verlag, München 2020
Danke an den Verlag für das Rezensionsexemplar
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