Elan Mastai: Die beste meiner Welten

Zugegeben, nicht jedermanns/fraus Sache: Zeitreisen, Parallelwelten, Blockuniversum, viele physikalische Details … und trotzdem, der Titel spielt gleich mehrere Ebenen an: die Theodizee versuchte den Glauben an Gott zu retten mit der Behauptung, dies sei „die beste aller Welten“. Gerade jetzt treffen wir Entscheidungen darüber, was in Zukunft die beste unserer Welten sein soll. Bei diesem Roman ist gleich klar, dass die von den Techniknerds als „die Beste meiner Welten“ ausgegebene eben nicht die beste ist, denn „An eins jedoch denke ich nicht mit Wehmut zurück: jeden Morgen, wenn ich dieser glitzernden Utopie aufwachte und mich anzog und frühstückte, war ich allein.“ (11)
Diese Utopie ist die Welt, die wir haben sollten, in der aufgrund einer grandiosen technischen Erfindung im Jahr 1965 eine Maschine gebaut wird, die die Rotation der Erdbewegung in Energie umwandelt, nie versiegend, schadstofffrei, den Menschen fortan ein Leben ermöglicht, in dem alles zum Leben notwendige rückstandslos produziert und entsorgt werden kann. Die einzige Arbeit, der Menschen noch nachgehen müssen, ist die große Nachfrage nach Entertainment zu befriedigen. Hört sich gut an. Wie das aber nun mal so ist mit Großtechnologien (davor haben Philosophen wie Hans Jonas schon 1979 gewarnt): wir haben sie nun mal nicht im Griff. „Wenn man eine neue Technologie erfindet, erfindet man auch den Unfall, zu dem diese Technologie führen kann.“ (22)
Der junge Protagonist stolpert in Geschehnisse hinein, die ihn, scheinbar naiv, dazu verleiten, ein Zeitreiseexperiment anzutreten, das nicht für ihn bestimmt war. Es gelingt, doch allein seine Anwesenheit im Jahr 1965 bei Ingangsetzen der phänomenalen Maschine reicht aus, um alles durcheinanderzubringen. Er kehrt zurück in die Zeit, in der wir uns jetzt befinden. Die Utopie ist verspielt. Ist unsere Gegenwart eine Dystopie im Vergleich zur vorher entwickelten Utopie? Die Geschichte folgt einerseits klassischen Mustern: Liebesgeschichte, dramatische Begebenheit, sympathischer unfreiwilliger Held, etc. Sie bleibt aber nirgendwo an der Oberfläche.
In der utopischen Gegenwart entwickelt der Protagonist, der mehr oder weniger erfolglos weil leidenschaftslos durch verschiedene Professionen mäandert in einer Werbeagentur eine großartige Idee: eine glückselige Welt frei von allem Werbemüll durch eine kleine Gebühr. Aber „Niemand wollte für das Privileg bezahlen, für kommerzielle Interessen bedeutungslos zu sein.“ Selbst in einer Welt, in der alles problemlos selbst hergestellt werden kann, erlebt sich dieser utopische Mensch am liebsten als „unentbehrliches Zentrum der globalen Ökonomie“ (Ebd.). Kleiner Nebenschauplatz, hat mir gut gefallen.
Sehr poetisch beschrieben ist das Erlebnis der Zeugung neuen Lebens: „Da war nicht nur ein Wer in ihr, sondern auch ein Wo, ein Ort, an dem wir beide endlich hätten frei von den Leuten sein können, die wir nie hatten sein wollen, denn das ist der Zaubertrick beim Erschaffen neuen Lebens: es nimmt jede schlechte Entscheidung, die du bis dahin getroffen hast, und macht sie zu einem notwendigen Schritt auf dem tückischen Pfad, der dich nach Hause gebracht hat.“ (111)
Es gibt also mehrere Versionen, des Raumes, der Zeit, der Beziehungen in ihr. Die Versionen sind davon abhängig, was gewesen wäre, wenn die Maschine perfekt funktioniert hätte, wenn sie mit einer kleinen Verzögerung – durch das Erscheinen des Zeitreisenden – reaktiviert worden wäre, oder wenn sie – wiederum durch das Erscheinen des Zeitreisenden – zerstört worden wäre. „Realität, sagte sie, ist nicht konkret. Sie ist locker und gallertartig wie die Crème brulée, die sie halb aufgegessen hatte. Die Oberfläche ist kristallin, aber sie ist nur eine harte, dünne Kruste, die schützend über dem weichen Inneren liegt und es an seinem Platz festhält.“ (386)
Bei solchen Geschichten kommt es vielleicht besonders darauf an, wo die Interessen des Lesers, der Leserin liegen. Man kann sich auf die Technik-Nerd Seite konzentrieren, auf die Science Fiction, oder auf die gestellten Fragen: In was für einer Zivilisation wollen wir leben, ist jeder Entwurf eine Ideologie, wie ist es möglich, jenseits der ideologischen Grenzen zu denken? Einen guten Roman macht es eben auch aus, dass er unterschiedliche Leserinteressen befriedigen kann.
„Wir fühlen uns alle wie Hochstapler. Das ist das Geheimnis des Lebens. Alle kommen damit zurecht.“ (288)

Elan Mastai: Die beste meiner Welten
Deutsch von Rainer Schmidt, Goldmann Verlag, München 2018

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Bloggen auf WordPress.com.

Nach oben ↑

%d Bloggern gefällt das: