Dagmar Eger-Offel: Gibt es eine Moral für die Zukunft?

Out now!

Mein neues Buch zu den brisanten Fragen an eine Ethik, an eine Gesellschaftstheorie, an die  Moral: Ist die moralische Haltung, die wir zu diesen Fragen einnehmen überhaupt noch von Bedeutung?

Klappentext:

Ein Paradigmenwechsel ist gefordert, von der „Fridays for Future“-Bewegung eingeklagt, von der Politik mit Bauchweh eingeräumt, von der Wirtschaft nach den Gesetzen des Marktes weg interpretiert.
Was ist die Basis für all die verschiedenen Interessengruppen in einer Gesellschaft, auf der sie in ihren Argumentationen überhaupt erst zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung kommen können? Vielleicht sollten wir uns darüber Gedanken machen, ob wir unsere Bedeutungszusammenhänge überdenken wollen, um zu veränderten Visionen für eine gestaltbare Zukunft zu kommen. Einige dieser Bedeutungszusammenhänge werden hier diskutiert auf der Basis psychologischer Entwicklungstheorien, ethischer Grundlagentheorien und umweltethischer Schlussfolgerungen daraus. Die Idee, die hinter dem Aufbau des Buches steckt, liegt in der Entwicklung eines gesellschaftstheoretischen Bewertungsinstrumentes auf der Basis der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Wie würden unsere Rechte als WeltbürgerInnen lauten, wenn wir unter dem Paradigma der Fürsorge einen von unserer persönlichen Position ausgehend weiterführenden Blick auf die Lebenszusammenhänge werfen?

Gibt es eine Moral für die Zukunft?

Konzepte für eine Gesellschaftstheorie in moralischer Verantwortung

Den größten Sprung in seiner Entwicklungsgeschichte machte der Mensch, als er anfing, sich Dinge vorzustellen, die es nicht gibt. Vor ungefähr 70 000 Jahren entwickelte sich in diesem verhältnismäßig riesigen Organ, dem menschlichen Gehirn, eine Fähigkeit, die bis heute als einzigartige Begabung der Menschheit vorbehalten bleibt: wir entwickeln Bedeutungen. Und mit diesen Bedeutungen entwickeln wir Visionen für eine Zukunft (siehe Anmerkung). Diese Fähigkeit zeichnet uns nicht nur aus, sie begründet auch den Erfolg der Spezies durch die Möglichkeit, über eine komplexe Sprache zu verfügen, mit der fiktive Sachverhalte dargestellt und kommuniziert werden können. Ideen werden ausgetauscht, die sich auf eine Vergangenheit, auf eine Zukunft beziehen. Und die gemeinsame Gestaltung von Zukunft braucht vor allem eines: Vertrauen. Es ist uns gar nicht bewusst, wie sehr das gesamte System unseres Lebens und Wirtschaftens auf Vertrauen beruht. Jeder gewährte Kredit setzt ein Vertrauen voraus, basiert auf einer Übereinkunft für eine ungewisse Zukunft.

In der Zeit des beginnenden großen Kreditwesens mit dem Entstehen der ersten Aktienmärkte um 1650 in den Niederlanden wares das Vertrauen in eine gemeinsame Idee der wirtschaftlichen Expansion, des Wachstums. Über diese Idee und die Investitionen dazu konnte das Zusammenleben und Zusammenarbeiten eine Form annehmen, die es möglich machte, dass heute wildfremde Menschen in großen Städten, in großen Betrieben, auf große Entfernungen, friedlich miteinander kooperieren.

Anmerkung: Yuval Noah Harari stellt in „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ die Fähigkeit, Fiktionen zu entwickeln, als eine anthropozentrische heraus, die den Menschen in ein besonderes Verhältnis zur Welt setzt.

Um dies unter den Bedingungen eines sich immer differenzierter entwickelnden Marktes in einen Rahmen zu passen, der den Zielen der Aufklärung im 18. Jahrhundert genüge tut, wurden auf humanistischen Grundgedanken die ersten Gesetze der europäischen Demokratien entwickelt. Und aus der Fähigkeit, über Bedeutungen und damit zusammenhängende Visionen ein Vertrauen in eine Zukunft aufzubauen, trotz schrecklicher Vergangenheitserfahrung, entwickelte sich – nicht eines Tages, sondern als Prozess über die Jahrhunderte – die Menschenrechtsidee, als verbindende Vision gemeinsamer gültiger Ansprüche an das Leben und an diejenigen Institutionen, welche die Rahmenbedingungen für diesen Lebensprozess gestalten.

Davon handelt dieser Essay: von der Auseinandersetzung mit den moralisch geforderten Ansprüchen auf eine Zukunft, die sich aus der Menschenrechtsidee begründen, und von den ethischen Grundlegungen zu diesen Ansprüchen. Eine grundsätzliche Frage, die in Zusammenhang mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte seit ihrer vertraglichen Niederschrift 1949 diskutiert wird, lautet: Woher bezieht sie ihren Anspruch auf Allgemeingültigkeit? Welche Logik steckt dahinter, gibt es eine universelle Begründung oder handelt es sich um eine eurozentristische Vision?
Menschenrechte sind in allererster Linie Rechte des Bürgers gegen den Staat, Rechte des Weltbürgers gegen die Staatengemeinschaften. Sie sind nicht im Status der Idee geblieben, sie wurden über internationale Verträge ratifiziert und bekamen so als politische und als kulturelle Rechte den Status von geltendem Recht.

Die #FridaysForFuture-Bewegung hat uns wachgerüttelt. Wenn unsere Kinder streiken, wenn sie nicht mehr in eine Schule gehen, die sie vorbereiten soll auf eine Zukunft, die wir uns für sie ausgedacht haben, sollten wir diesen Entwurf für ihre Zukunft noch einmal überdenken.
Von Monat zu Monat hangeln wir uns vom einen Temperaturrekord zum anderen Katastrophenrekord. Die ausgemalten Szenarien werden immer wieder von neuen Hiobs-Botschaften getopt, weil wir einige Variablen in der Berechnung der Geschwindigkeit und Höhe des Temperaturanstiegs im Weltklima vergessen haben.
Was ist falsch gelaufen in unserem Verhalten, zu uns selbst, zu unserer Zukunft, zu unserer Lebensumwelt? Ein Paradigmenwechsel ist gefordert, von der „Fridays for Future“-Bewegung eingeklagt, von der Politik mit Bauchweh eingeräumt, von der Wirtschaft nach den Gesetzen des Marktes weg interpretiert.
Was ist die Basis für all die verschiedenen Interessengruppen in einer Gesellschaft, auf der sie in ihren Argumentationen überhaupt erst zu einer fruchtbaren Auseinandersetzung kommen können?
Ein Fokus muss darauf gerichtet werden, eine Vorstellung zu entwickeln zu alternativen Gerechtigkeitsvorstellungen jenseits der Wachstumsökonomie. Die in alle grundsätzlichen Streitpunkte hineinragende Kernfrage bezieht sich auf die den Interpretationen zugrundeliegende Logik. Ist die rationale Gerechtigkeitslogik der moralischen Sollensforderungen, basierend auf den Vorstellungen der Aufklärung vom autonomen Subjekt, ungenügend? Haben wir eine Brille, durch die wir Recht und Gerechtigkeit beurteilen, die auf einer einseitigen Logik beruht?

Was ist mit all den Intuitionen, die wir allenthalben verspüren, wenn es um Mitmenschlichkeit geht, wo wir einfach nur helfen, ohne nach Recht und Gerechtigkeit zu fragen, oder wenn wir Angst haben vor einer Zukunft, weil wir sehen, dass Natur und Umwelt sich so stark verändern, dass wir täglich die zerstörerischen Tendenzen zu spüren bekommen? Die Angst greift um sich, wir haben Angst vor der Zukunft, Angst um unsere Kinder und Kindeskinder, für die wir nicht mehr unmittelbar Sorge tragen können.
In der Ökonomie haben Wissenschaftlerinnen in den vergangenen Jahren einen Begriff wieder verstärkt aufs Tapet gebracht, der seit den 80er Jahren, ursprünglich von einer amerikanischen Psychologin, Carol Gilligan, als Provokation gegen eine rationalistische Gerechtigkeitslogik in den Diskurs eingeführt wurde und der nun als alternative Logik für einen Paradigmenwechsel ausgezeichnet wird: Fürsorge! Die Wissenschaftlerinnen benutzen den angloamerikanischen Begriff Care. Es geht bei der Ausarbeitung dieser hinter dem Begriff stehenden Logik um eine erweiterte Interpretation, von einer Logik der Sorge um Schutzbedürftige ausgehend, in eine erweiterte Sorge, die alles mit einbezieht: die Sorge um andere Menschen, um die Natur, um den Planeten, um die Zukunft. Vielleicht sollten wir uns darüber Gedanken machen, ob wir unsere Bedeutungszusammenhänge überdenken wollen, um zu veränderten Visionen für eine gestaltbare Zukunft zu kommen.
Einige dieser Bedeutungszusammenhänge werden hier diskutiert auf der Basis psychologischer Entwicklungstheorien, ethischer Grundlagentheorien und umweltethischer Schlussfolgerungen daraus. Unter anderem wird Jürgen Habermas, ehemals Professor der Frankfurter Schule aufgeführt, der zu Moral- und Sozialphilosophie arbeitet unter anderem mit seiner Diskursethik, oder Seyla Benhabib, amerikanische Professorin für Politische Theorie und Politische Philosophie an der Yale University, die 2016 mit ihrem Buch „Kosmopolitismus ohne Illusionen: Menschenrechte in unruhigen Zeiten“, die Debatte um Ethik und Politik wieder aufnimmt. Ihre früheren Gedanken zu einer Ethik des Allgemeinen unter Einbeziehung des Konkreten waren wesentlicher Teil einer in den 2000ern geführten Diskussion um die Verhältnismäßigkeit von moralischen Ansprüchen, um die Einbeziehung der Erfahrung aus der Praxis in die Begründung der Moral.

Die Auseinandersetzungen der ethischen Begründungen führen in die Tugendethik mit Martha Nussbaum, Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago, und in die prinzipielle Begründung von Rechten und Pflichten mit Onora O’Neill, Philosophin, Politikerin, Mitglied des House of Lords, und Corinna Mieth, Professorin an der Ruhr-Universität Bochum. Fragen zum Kapital werden mit Christian Felber gestellt, denn die Fragen nach der Zukunft der Arbeit gehören zu dem Fragekomplex, der dem Einzelnen am meisten Angst macht und zu dem Ökonominnen Modelle für eine Postwachstumsgesellschaft entwickelten. Und allem zugrundeliegend ist die Frage nach dem Erhalt unserer Welt, unserer Umwelt. Eine alles umfassende Angst macht sich breit, eine in alles hineinragende Sorge. Ist eine mögliche Antwort darauf ein Paradigmenwechsel hin zu einer Fürsorge, einem Gesellschaftskonzept der Fürsorge und Verantwortung?

Die Idee, die hinter dem Aufbau des Buches steckt, liegt in der Entwicklung eines gesellschaftstheoretischen Bewertungsinstrumentes auf der Basis der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Wie würden unsere Rechte als WeltbürgerInnen lauten, wenn wir unter dem Paradigma der Fürsorge einen von unserer persönlichen Position ausgehend weiterführenden Blick auf die Lebenszusammenhänge werfen? Würde aus dem „Recht auf ein unbeschädigtes Leben“ nicht auch folgen müssen ein „Recht auf ein Wirtschaftssystem in Kooperation und unter Fürsorge-Vorzeichen, in dem Subsistenzarbeit, „Lebensproduktion“ (Maria Mies, 1983) einen gleichwertigen Anteil an der Berechnung des Wohlbefindensprodukts hat, wie die Herstellung von Gütern“ (V. 5.4.) Oder vielleicht eine Allgemeine Erklärung der Lebensrechte? (V. 5.4., I. Exkurs)
Die vorgestellten Theoretikerinnen und Theoretiker beziehen sich auf grundlegende Überlegungen zu einer Ethik als Basis von Gerechtigkeitsvorstellungen, die sich niederschlagen in institutionalisierten Formen. Es wird ein Diskurs angeregt, diese Formen unter veränderten Vorzeichen neu zu verhandeln. Dazu bedarf es eines grundsätzlichen Fundamentes unter Zuhilfenahme psychologischer Modelle.
Was ist das Gute, was ist das Richtige? Manch’ eine/r mag fragen: Ist die moralische Haltung, die wir zu diesen Fragen einnehmen überhaupt noch von Bedeutung? Ja, denn: man kann sich nicht nichtmoralisch verhalten. Auch nichtmoralisches Verhalten ist eine moralische Position.

Dagmar Eger-Offel: Gibt es eine Moral für die Zukunft?

ISBN 978-3-00-063853-4
Literatur im Fenster e.V.
© Dagmar Eger-Offel
Isny im Allgäu 2019
Preis: 14,90

Ab sofort direkt bestellen, portofrei: offel-eger@t-online.de

oder über den Buchhandel

4 Kommentare zu „Dagmar Eger-Offel: Gibt es eine Moral für die Zukunft?

Gib deinen ab

  1. Liebe Dagmar,
    herzlichen Glückwunsch und Respekt zu Deiner neuen Ausarbeitung. Danke für Deine Mitteilung. Auf Deine Fragestellungen, Quellen, Diskussionen, Thesen und Antwortanregungen bin ich neugierig. So bestelle ich gerne ein Exemplar Deines Buches direkt (Anschrift in meinem Impressum) oder auch über eine meiner Lieblings-Buchhandlungen.
    Angenehmes Wochenende mit herzlichen Grüßen
    Bernd

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    1. Lieber Bernd,
      das freut mich sehr, dass es dich interessiert. Natürlich schicke ich dir gerne ein Exemplar direkt zu, das Buch macht sich noch heute auf den Weg.
      Ich habe tatsächlich den Eindruck, in dieser Arbeit kulminieren meine Beschäftigungen der letzten Jahre und fokusieren sich. Freue mich sehr auf Feedback, eine gute Lesezeit und
      herzliche Grüße
      Dagmar

      Gefällt 1 Person

  2. Liebe Dagmar, dein neues Buch hört sich wieder sehr interessant an und macht Tim und mich sehr neugierig .Wir bestellen es sofort und ich kann es ja am Montagabend mitnehmen….
    Mit Freude und liebenGrüssen Ina und Tim Mecke

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