An dem Roman „IDA“ schrieb Katharina Adler fünf Jahre lang. Er erschien letztes Jahr im August im Rowohlt Verlag – und im September auf meinem Schreibtisch. IDA beschreibt in biographischen Anleihen die Lebensgeschichte ihrer Urgroßmutter Ida Adler. Der Roman ist mithilfe fiktionaler Ausgestaltung eine Familienchronik vom Fin-de-Siècle ausgehend bis in die Nachkriegszeit, eine Romanbiographie. Die sich verschränkenden Themenbereiche erzählen über die persönliche Geschichte von IDA hinausgehend von der sich damals entwickelnden Psychoanalyse unter Sigmund Freud und von den politischen Grabenkämpfe während und zwischen den beiden Weltkriegen.
Was macht Ida zu dieser besonderen Person, die dem ein oder anderen vielleicht schon unter dem Pseudonym Dora bekannt ist? Ida entstammt einer wohlhabenden Familie des jüdischen Wiener Großbürgertums. Die Zeit um 1900, geprägt von der Ambivalenz aus Aufbruch und Restriktionen war vor allem für Frauen mit schweren moralischen Dilemmata belastet. Sigmund Freud veröffentlichte seine Arbeiten zur Hysterie und zu seinen Methoden der Traumdeutung und des assoziativen Erzählens – er nannte es „Sprechkur“. Einer seiner ersten Fälle ist eine Patientin, der er in der Fallbeschreibung den Namen „DORA“ gibt. Diese Fallstudie bildet den Kerntext des Romans. Freud selbst nennt sie: „Bruchstück einer Hysterie-Analyse“. Was den Fall als einen besonderen auszeichnet: die Patientin ist widerspenstig. Und zwar so widerspenstig, dass sie später gerne von Feministinnen als ein Beispiel der Selbstbestimmung herangezogen wurde. Eigenmächtig bricht sie die Behandlung bei Sigmund Freud nach drei Monaten ab. Freud ist frustriert. Sie war nicht einverstanden mit seinen Interpretationen und wollte auch nicht unentwegt über ihre Sexualität sprechen – für Freud eine Bestätigung seiner Theorie. Dahingestellt.
Idas Leben ist verknüpft mit der Geschichte ihres Bruders. In den ganzen Buchbesprechungen im Netz kommt dieser Teil des Romans meiner Ansicht nach zu kurz. Es ist die andere Welt ihres Bruders Otto Bauer, den sie liebt und bewundert und der als führendes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Österreichs, und zudem als Gründer des Austromarxismus in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei hatte 1919 eine relative Mehrheit in der Konstituierenden Nationalversammlung Deutschösterreichs, Otto Bauer wurde zum Staatssekretär des Äußeren (Außenminister) berufen. Die Vereinigung Deutschlands und Österreichs wurde von den Siegermächten nicht gestattet, wenige Monate später trat er von seinem Amt zurück. Mit großen Hoffnungen auf eine gestaltbare Zukunft war er als Reformer in die Politik gegangen. Aus seiner Schrift: Revolutionäre Kleinarbeit. Wien 1928, Seite 10:
„Nicht die große geologische Katastrophe hat die Welt umgebildet, nein die kleinen Revolutionen, im unmerklichen, nicht einmal mehr mit dem Mikroskop studierbaren Atome, die ändern die Welt, die erzeugen die Kraft, die sich dann in einem Tage in einer geologischen Katastrophe auslöst. Das Kleine, das Unmerkliche, das wir Kleinarbeit nennen, das ist das wahre Revolutionäre.“
Im Alter von 26 Jahren legt er 1907 eine 600 Seiten starke Abhandlung vor unter dem Titel: Nationalitätenfrage und Sozialdemokratie.
Die vielversprechende politische Karriere endet im Exil, in dem Otto Bauer schon 1938, 57-jährig an einem Herzinfarkt stirbt.
Ida gibt sich als bekennende Anhängerin der Sozialdemokratie, ob von Anfang an aus Überzeugung oder aus Bewunderung für den Bruder und dessen scharfen Verstand, der ihr so oft in jungen Jahren Halt gegeben hat, bleibt unklar. Auch hier die Ambivalenzen der Zeit, die Ambivalenzen eines Charakters. Das Ringen um Selbstmächtigkeit dieser widerständigen Frau steht im Zentrum dieser Geschichte.
Katharina Adler: IDA, Rowohlt Verlag, Hamburg 2018
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