Wie werden wir nur dieses verdammte Kapital wieder los?
Ein Schelmenroman soll’s sein, voller Ironie. Ingo Schulzes opulenter 600 Seiten Roman erzählt ab der Jugendzeit die Entwicklung eines jungen Mannes, der stets getragen von einem unumstößlichen Idealismus voller Überzeugung nach der Wende 1989 sein Fähnlein in die andere Richtung hängt, aber immer mit Inbrunst das Gute für die Allgemeinheit will. Ingo Schulze sagt im Interview im Tagesspiegel:
„Ich war nicht naiv genug, um mir so etwas wie den Herbst 1989 wirklich vorstellen zu können. Aber als es dann da war, war ich, wie Peter Holtz, davon überzeugt, jetzt wird daraus tatsächlich eine demokratische Republik, ein Sozialismus mit menschlichem Antlitz.“
Die politische Tragödie besteht in diesem Roman darin, dass es für den „Helden“, der im klassischen Sinn die Position des Narren innehat, keine Rolle spielt, ob er nun dem Sozialismus anhängt oder dem Kapitalismus, ob er überzeugter Atheist ist, oder Christ, es gelingt ihm einfach nicht, für die Allgemeinheit das Gute, das er tun will, auch zu bewirken:
„Ich persönlich zum Beispiel habe viel zu viel Geld. Erstens brauche ich das gar nicht und zweitens, und da kommen wir zum Kern des Problems, weiß ich wirklich nicht, wie ich es mit Anstand wieder loswerden soll. Ich würde gern eine sinnvolle Arbeit tun und davon leben, statt mir unentwegt Gedanken darüber machen zu müssen, dass mein Geld kein Unheil anrichtet.“ (S.559)
Wie konnte das nur passieren, dass der einst so überzeugte Sozialist durch die Marktwirtschaft zum Vorzeige- Millionär mutiert? Er nimmt tatsächlich die Menschen seiner Umgebung einfach beim Wort und genau dadurch entstehen skurrile Situationen. Er hat ein bisschen was von einem Menschen aus dem Asperger- Spektrum, für den die Lüge und die Täuschung überhaupt nicht als Verhaltens- Schemata zur Verfügung stehen. Und genau dadurch deckt er aber Wahrheiten auf, ungewollt, entlarvt Methoden und Schablonen einer (a)sozialen Marktwirtschaft und natürlich hätte so einer wie Peter Holtz in Wahrheit keine Chance im Haifischbecken. Es ist amüsant und selbstredend eine Kapitalismuskritik, die ihren Gipfel erreicht, als das Verbrennen von 1000€- Scheinen zu einer Kunstaktion gerinnt und Peter Holtz wiederum mehr Geld einbringt, als er verbrennen konnte. Dabei ist er überzeugt, dass alle sich diese Aktion zum Beispiel nehmen sollten.
„Beim Schreiben entdeckte ich dann doch Aspekte, die mich mehr interessierten, sozusagen das utopische Potenzial unter all den Verkrustungen, das im Herbst ’89 kurz sichtbar wurde.“
Ingo Schulze: Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst.
Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2017
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