Ulrike Guérot: Warum Europa eine Republik werden muss!

Eine politische Utopie
Teil 1: Analyse

Ulrike Guérot, Politikwissenschaftlerin, Gründerin und Direktorin des European Democracy Labs und Professorin und Leiterin des Departments für Europapolitik und Demokratieforschung in Krems/Österreich leitet ihre Utopie mit einem Rückblick auf 3000 Jahre Geschichte des Europäischen Kontinents ein. Dabei entwickelt sie eine Idee eines Europas als großer Republik mit politischer Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger der Nationalstaaten. Die EU, wie wir sie haben, ist eine Wirtschaftszone, der es am gemeinsamen politischen Konzept mangelt, auch der Maastricht Vertrag von 1992, der eine politische Union begründen wollte, ist auf politischer Ebene gescheitert. Der große Fehler liegt darin, dass die wesentlichen finanziellen Entscheidungen auf unterschiedlichen Ebenen getroffen werden, so wird über Währung und Wirtschaft auf europäischer Ebene verhandelt, während über Steuer- und Sozialpolitik die Länder auf nationaler Ebene zu entscheiden haben. Die europäischen Bürger sind somit nicht gleichgestellt. Es herrscht ein Wettbewerb zwischen den Bürgern der europäischen Nationen, der von extremen Schieflagen gezeichnet ist. Die Verordnungen und Richtlinien, beschlossen in EU- Ausschüssen sind nicht demokratisch gefasst. Weder wählen die BürgerInnen ihre EU- Abgeordneten, noch gibt es eine Opposition im EU Parlament, noch fühlen sich die BürgerInnen als Souverän.

 

Guérot konstatiert: „Deutschland hat mit immensen Handelsbilanzüberschüssen den Rest Europas in die Krise konkurriert. (…) Dabei wussten alle, dass eine Währungsunion ohne Fiskal- und Sozialunion eben nicht funktionieren kann.“ (36/37) Mc Kinnsey, 2012, zufolge kam über die Hälfte des gesamten Eurogewinns in der Eurozone Deutschland zugute.

Zu der immer weiter auseinanderklaffenden Einkommensschere innerhalb Europas sagt sie, wir müssen die soziale Frage und das Gleichheitsversprechen über die nationalen Grenzen hinweg europaweit diskutieren.

Alles, was mit Strukturreformen, Effizienz Strukturfonds etc. zu tun hat, benachteiligt ländliche Regionen, weil die Vergabe von Mitteln pro Kopf erfolgt und bevölkerungsarme Regionen verarmen.

Wenn wir diese Strategie des Protektionismus weiter verfolgen, spielen wir dem Rechtspopulismus in die Hände. Wirtschafts- und Währungsunion haben die europäische Sozialdemokratie geschwächt, die Linke hat sich radikalisiert, die Bürger fühlen sich nicht ernst genommen, die komplexe EU ist bei multiplen Krisen nicht mehr reaktionsfähig: bleibt die Flucht ins Nationale.

Was wäre also das bestechende an einer europäischen Republik?
Die Republik bezeichnet den Zusammenschluss von souveränen Bürgern mit transnationaler Demokratie. Guérot entwickelt eine Vision einer europäischen Republik: „Wir müssen die EU und die Nationalstaaten beide ziehen lassen (…) Das Netzwerk >>Europa 21<< ist ein Netzwerk aus europäischen Regionen und Städten, über die das schützende Dach einer europäischen Republik gespannt wird, unter dem alle europäischen Bürger in ihren bürgerlichen und politischen Rechten gleichgestellt sind.“ (82)

Was einst Rousseau in seinem Gesellschaftsvertrag forderte, dass jeder etwas hat, und keiner reich genug ist, um andere kaufen zu können, ist längst ad absurdum geführt, sogar der IWF gibt zu, es sei ein Witz, dass es den Unteren besser gehe, wenn oben mehr verdient würde.

Was daraus folgt? Die Politik repräsentiert ihre Bürger nicht mehr, sie hat an Eigenwert verloren, Habermas bezeichnet die Reaktion als Flucht in den bürgerlichen Privatismus. Wer will’s verdenken.
Und wenn schon die OECD zugibt, dass wir weit entfernt sind vom Grundsatz, dass sich soziale Ungleichheit weder durch Vorrechte bei Geburt noch durch Macht der Tradition einstellen darf …

Guérot wundert sich über die fehlende Wut des europäischen zoon politicon.
Die Republik fordert die aktiven BürgerInnen. Nach Guérot sollten dies bei der Gründung einer europäischen Republik alle diejenigen sein, die sich aktuell auf europäischem Boden befinden.

Die Aufgaben einer solcherart gestalteten Europäischen RePublik beziehen sich nur auf das Große: Außenpolitik, Finanzministerium für gemeinsames Budget, Umwelt- Energie- und Klimaministerium, Cyberministerium, Handelsministerium, Sozialministerium, Entwicklungsministerium (133/34) Das bedeutet: gleiche Besteuerung, gleicher Krankenschutz, gleiches Rentenalter.

„Deutschland muss sich entscheiden: Entweder wir konkurrieren die europäischen Nachbarstaaten ins Off und bestehen darauf, weiterhin die Made im Speck des europäischen Binnenmarktes zu bleiben, vergessen darüber aber auch, dass dies zumindest teilweise unserer zentralen geographischen Mittellage in Europa geschuldet ist (…) Oder aber wir beenden das Euro-Experiment in seiner derzeitigen Form und geben den anderen Ländern ökonomische Spielräume zurück, zum Beispiel den der Währungsabwertung.“ (143)

Gerade aktuell diskutiert mit den Wahlen in Frankreich ist Guérot nicht die einzige, die betont, dass dies die letzte Chance für Europa ist, wenn die Franzosen noch einmal an einer nationalistischen Regierung vorbeikommen. Und sie appelliert mit aller Vehemenz vor allem an die deutsche Regierung, die vorliegenden europäischen Vorschläge zur Neustrukturierung von Fiskal- und Sozialpolitik endlich ernst zu nehmen.

Ulrike Guérot: Warum Europa eine Republik werden muss!Eine politische Utopie, Verlag J.H.W. Dietz, Bonn 2016

Es folgt Teil 2: Utopie

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