Jean Jacques Rousseau: Der Gesellschaftsvertrag

Nun sind doch die USA mit einer der ersten demokratischen Verfassungen von 1788 Vorreiter in der Etablierung von Gewaltenteilung. Wenn sich ein Politiker mit der Geschichte der Theorien zur Demokratie befasst, muss ihm eigentlich klar sein, dass Demokratieverständnis in allererster Linie Beschränkung der Macht von Einzelnen bedeutet.

Also noch mal zurück zu den Anfängen: einer der Urväter aufgeklärter Staatstheorien ist Jean Jacques Rousseau mit „Der Gesellschaftsvertrag – oder Prinzipien des Staatsrechts“
Gleich in seiner Einleitung stellt er klar, worum es ihm zu tun ist:

„Ich möchte untersuchen, ob es innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung eine legitime und zuverlässige Regel für die Organisation des Staates geben kann, wenn man die Menschen so nimmt, wie sie sind, und die Gesetze so, wie sie sein könnten.“

Es geht also darum, über das Finden der einzig möglichen Legitimation alle anderen Formen von „Herrschaft“ zu diskreditieren als illegitim.
„Der Stärkere ist nie stark genug, immer Herr zu bleiben, wenn er seine Stärke nicht in Recht und den Gehorsam in Pflicht umwandelt.“ (16)

Stärke allein ist nicht dazu in der Lage, Recht zu schaffen. Damit wird das Recht des Stärkeren widerlegt. Rousseau stellt die Frage, warum man sich überhaupt in eine Ordnung fügen soll, denn man legt sich ja „Ketten“ an. Der wichtigste menschliche Wesenszug ist das Bedürfnis nach Freiheit, Rousseau sagt sogar, es sei eine Eigenschaft des Menschen. Wenn nun tatsächlich eine Ordnung so weit geht, dass sie dem Menschen seine Freiheit nimmt, dann nimmt sie ihm auch die Möglichkeit, aus eigenem Willen zu entscheiden und dann ist es ihm nicht mehr möglich, moralisch zu entscheiden oder zu handeln. In der Despotie verliert der Mensch seine Moralität (was nun alles als Despotie gelten kann – die Interpretation bleibt dem Leser überlassen, es muss sich nicht um Herrschaftsformen durch Personen handeln, despotisch können auch Ideologien oder Systeme in ihrer Struktur sein, die kein anderes Denken und Leben erlauben). Er nimmt hier Kant vorweg: Moralität ist gebunden an den freien Willen. Infolgedessen muss ein zu legitimierender Gesellschaftsvertrag immer dieses eine Ziel haben: die Freiheit seiner Mitglieder. Deshalb kann Rousseau auch sagen: „Sklaverei und Recht widersprechen einander.“ (S.24)

„Eine Masse unterwerfen und eine Gesellschaft regieren: das bleiben ewig zwei grundverschiedene Dinge.“ (S.25)

Die Frage, die sich daraus zwingend ergibt: Was macht ein Volk zum Volk? Nach Rousseau kann es nur ein freiwilliger Zusammenschluss sein, in dem jeder genauso frei bleibt, wie vorher. Aber wie ist das zu bewerkstelligen? Eine wesentliche Voraussetzung ist die Gleichheit. Nur wenn die Bedingungen für alle gleich sind, hat keiner ein Interesse daran, Regelungen zuzustimmen, die andere übervorteilen, denn er könnte selbst übervorteilt werden. Und wenn alle dieselben Rechte über alle anderen haben, verliert keiner und der Zusammenschluss ist ein Gewinn für alle. Der Zusammenschluss bildet einen politischen Körper, den Souverän und dieser Körperschaft haben sich alle unterzuordnen. Aus der natürlichen Freiheit entsteht eine bürgerliche Freiheit, die im Gemeinwesen unabdingbar mit einer sittlichen Freiheit einhergehen muss, welche allein den Menschen, kraft seines Willens, zum verantwortungsvollen, zum moralischen Menschen macht.

Warum der gemeinsame Wille, das gemeinsame Interesse allein die legitimierende Ausgangslage für eine Regierung abgeben kann, erhellt folgender Satz:

„Allein der Gemeinwille kann die Kräfte des Staates gemäß dem Zweck seiner Einrichtung leiten, nämlich dem Gesamtwohl.“ Dieses Gesamtwohl ist aber nicht (wie später in den utilitaristischen Interpretationen) zu verwechseln mit dem Wohl oder Nutzen der größtmöglichen Zahl.

Nun, das Gesamtwohl zu definieren, dürfte schwierig sein, wahrscheinlich die schwerste politische Aufgabe. Nur solange jeder das Wort „jeder“ auf sich beziehen kann, kann über einen Gemeinwillen verhandelt werden.
Das Gesetz kann nicht ungerecht sein, denn wenn alle gleich sind, will niemand ungerecht gegen sich selbst sein (Ein Gedankenkonstrukt, das John Rawls 200 Jahre später in der „Theorie der Gerechtigkeit“ aufnimmt). Weisung, Führung, Ausrichtung nach der Vernunft sind Vorgaben für die Bildung des Gemeinwillens, denn:

„Der Gemeinwille ist immer richtig, aber das Urteil, das ihn lenkt, ist nicht immer klug.“

Wie wahr, wie wahr. Zumal die Urteilsbildung immer stärker von den gesellschaftlichen Strukturen überformt wird.
Das höchste Wohl aller besteht nach Rousseau in zwei „Hauptwerten“: Freiheit und Gleichheit.

Für die Ordnung des Gemeinwesens gibt es bei ihm schon den Begriff der „Grundgesetze“, diese geben die Struktur der Ordnung an, dann gibt es Gesetze für die Verhältnisse der Bürger zueinander (Bürgerliches Gesetz) und es gibt Gesetze zum Verhältnis zwischen Mensch und Gesetz (heute Strafrecht). Das wichtigste für Rousseau aber sind die Sitten und Gebräuche, das moralische Gesetz, denn ohne dieses kann alles andere nicht gelingen.

Die Begriffe Legislative und Exekutive – gesetzgebende und ausführende Macht haben eine lange Tradition. Die Legislative geht vom Volk aus, die Exekutive von einer beauftragten Körperschaft, dies sei die Regierung, sie ist „… beauftragt mit dem Vollzug der Gesetze und dem Erhalt der bürgerlichen wie der politischen Freiheit.“ (94)
Diese Begrifflichkeiten tauchen bei John Locke und Montesquieu auf und werden erstmals im Sinne einer Gewaltenteilung verfassungsgemäß festgelegt in der Verfassung der Vereinigten Staaten von 1788 und werden hier als Checks and Balances in der föderalen Republik mit Präsidialsystem betitelt.

Die Regierung ist eine vermittelnde Körperschaft zwischen Untertanen und Souverän, sie ist die oberste Verwaltungsinstanz und Rousseau spricht hier auch von „Balance“ und betont, dass dafür die Macht der Regierung und die Macht der Bürger gleich sein müssten. Daraus folgt: je stärker der Staat, desto schwächer die Bürgerschaft und desto kleiner die Freiheit.
In einer Demokratie muss die Regierung übereinstimmend sein mit dem Souverän, mit dem Gemeinwillen des Volkes. In dem Moment, in dem ein Einzelner eine Führungsmacht beansprucht, um seinen „Sonderwillen zu erfüllen“ (S.99), zerbricht die gesellschaftliche Einheit „und die politische Körperschaft wäre aufgelöst.“ (S.100)

„Kurz: es (die politische Körperschaft, das Volk, Anm. d. Verf.) muss jederzeit bereit sein, die Regierung dem Volk zu opfern und nicht etwa das Volk der Regierung.“ (S. 100)

Warum kann man eigentlich Politiker nicht dazu verpflichten, die Geschichte der Staatstheorien erst einmal ausführlich zu rezipieren und sich dann Gedanken über ihre eigene Legitimation zu machen?

Jean Jacques Rousseau: Der Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts. In der Übersetzung von Ulrich Bossier, Marix Verlag, Wiesbaden, 2008

 

siehe auch „Jean Jaques Rousseau“ mit Link zum youtube Clip

2 Kommentare zu „Jean Jacques Rousseau: Der Gesellschaftsvertrag

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  1. Danke für die eingehende Darstellung von Rousseaus Idee und Buch. Erstmals hatte ich in der Schule davon gehört, kaum verständig. Im Studium habe ich Rousseaus Gesellschaftsvertrag gelesen und später als Dozent einmal darüber gesprochen. An dieser Stelle greife ich in den Bücherschrank, schlage die Reclam-Ausgabe auf und finde unter den vielen angestrichenen Textstellen folgendes Zitat aus dem Ersten Buch auf Seite 5:

    „Ich bin als Bürger eines freien Staates geboren und Glied des Souveräns, und so schwach auch der Einfluß meiner Stimme auf die öffentlichen Angelegenheiten sein mag – mein Stimmrecht genügt, mir die Pflicht aufzuerlegen, mich darin zu unterrichten. Sooft ich über Regierungen nachdenke – welches Glück, daß ich bei diesen Untersuchungen immer neue Gründe finde, die Regierung meines Vaterlandes zu lieben!“

    Rousseaus Vaterland war Genf, und er veröffentlichte dieses Buch 1762. Genf trat erst 1814 der Schweizerischen Eidgenossenschaft bei, also einige Zeit nach Rousseaus Leben. Gleichwohl sprach Rousseau im vierten Buch, 1. Kapitel, hier S. 112, vom „glücklichsten Volk der Welt“.

    Nun muss ich ja nicht jede aktuelle Regierung lieben, und ich persönlich wünsche mir eine andere und erneuerte Regierung, doch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland mag ich als zugrunde liegenden Text für die Wahl der Regierung. Und im Vergleich mit Regierungen im internationalen Umfeld finde ich die unsere erträglich.

    „Warum kann man eigentlich Politiker nicht dazu verpflichten, die Geschichte der Staatstheorien erst einmal ausführlich zu rezipieren und sich dann Gedanken über ihre eigene Legitimation zu machen?“

    Diese Frage ist klassisch. Über Platons Philosophenregierungssatz aus der Politeia lässt sich trefflich diskutieren und spekulieren. Im Spätwerk Nomoi ist er davon schon wieder abgerückt und kürt den „nächtlichen Rat“, die Ur-Idee eines Verfassungsgerichtes.

    Alle Politiker würde ich nicht dazu verpflichten wollen, die Geschichte der Staatsideen zu studieren. Im Studium der Politischen Wissenschaft oder des Öffentlichen Rechts gehört dies dazu. Gleichwohl mag es Stadträten und Gemeinderäten, Abgeordneten in Land, Bund und Europa ebenso hilfreich und nützlich sein wie Staatenlenkern andernorts, sozusagen global.

    Kollegial grüßt

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    1. Lieber Arnold,

      stimme mit dir völlig überein, unser Grundgesetz wie es ist, ist gut so – und da haben eine Menge Leute damals daran gefeilt, die die demokratischen Grundtexte sehr wohl kannten.
      Meine Attacke ging mehr Richtung Amerika. Gerade als selbsternannte Gründerväter der Demokratie und womöglich auch noch der Freiheit des Bürgers in der Demokratie – und dann so was! So einen würde ich verpflichten wollen. Wobei, ich will ihn nicht einmal Politiker nennen, das wäre zu schmeichelhaft 😉

      Vielen Dank für deinen anregenden Kommentar, hat mich sehr gefreut!

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