Carl Hanser Verlag, München 2014
ISBN 9783446245983
Olga Grjasnowa erzählt eine Dreiecks- gegen Ende sogar Vierecksgeschichte, in der sich alle ProtasgonistInnen zugunsten ihrer Freiheiten in einer selbstverständlichen Toleranz üben, die am Ende dazu beiträgt, eine Zukunftsgestaltung ins Auge zu fassen.
Leyla, eine junge erfolgreiche Balletttänzerin muss vorübergehend ihre Karriere am Moskauer Bolschoi-Theater aufgeben aufgrund einer Verletzung. Ihr Mann Altay, Psychiater, ist ihr ein verlässlicher Gefährte Beide sind stärker zum eigenen Geschlecht hingezogen und tolerieren die Verhältnisse des anderen, führen aber auch eine vertrauensvolle intime Beziehung miteinander. Sie kommen nach Deutschland und Leyla kann in Berlin im Ballett wieder Fuß fassen. Joroun, Kunststudentin aus New York, Bardame, maßlos, bringt das Gefüge durcheinander. Sehr schnell zieht sie bei Leyla und Altay ein und sehr schnell gerät das Gleichgewicht nun doch aus den Fugen.
Wieder ist es eine Verletzung, die Leyla dazu zwingt, etwas an ihrem Leben zu verändern. Sie nimmt sich eine Auszeit, reist nach Baku, schließt sich dort exaltierten jungen Menschen an, die mit Autorennen in der Stadt das Gesetz gegen sich aufbringen. Sie wird im Gefängnis schwerst misshandelt. Altay und Joroun reisen nach Aserbaidschan, um Leyla aus den Klauen der korrupten und korrumpierten Gesetzeshüter zu befreien.
Das örtliche Dreieck: Moskau, Berlin, Baku hat seinen Höhepunkt in den Beschreibungen des Kaukasus, auch die Familien von Leyla und Altay kommen hier mit ins Spiel. Das Verhältnis zur egozentrischen Mutter Salome und zum getrennt lebenden Vater Nazim, der ihr ein altes Märchen aus dem Kaukasus erzählt, erhellt ihr Ringen um Anerkennung, aber auch ihre Unfähigkeit, sich selbst in der Liebe zu vergessen. „Für Nazim war es einfach, Leyla zu lieben, da ihre Liebenswürdigkeit an der Oberfläche lag.“ S.179
Es liegt eine eigenartige Faszination in der Schreibweise dieser intelligenten, jungen Autorinnen, die etwas unterkühlt daherkommen und jenseits allen Anspruchs auf Sinnhaftigkeit im Leben, weit entfernt sich in romantischen Träumen zu ergehen, eine literarisch gestaltete Analyse unserer gegenwärtigen Lebens- und Liebesverhältnisse zeichnen, die uns erschreckt und fesselt. Wo aber bei Juli Zeh eine Raffinesse in der Konstruktion zu einem unvergesslichen Leseerlebnis beiträgt, bleibt im Vergleich dazu Olga Grjiasnowa in allem unverbindlich.
Der durchgängige rote Faden der Geschichte liegt in den bisexuellen, alle Freiheiten beanspruchenden Beziehungskonstruktionen. Aber eigentlich ist die sexuelle Variabilität hier ein Ausdruck einer Haltlosigkeit, die als Ergebnis einer Liebesunfähigkeit daherkommt. Die feinen Nuancen , die Verletzlichkeiten in Beziehungen, die Kränkungen, zurückgeführt auf eine Sozialisationsgeschichte, diese Nuancen werden kunstvoll um den roten Faden herumdrapiert, machen die sprachliche Kunstfertigkeit und das Einfühlungsvermögen aus. Aber reichen sie auch, um aus der Story eine Geschichte zu machen, an die man sich erinnert?
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