Antonio Munoz Molina: Tage ohne Cecilia

Mein erstes Buch von diesem spanischen Schriftsteller ist wie eine Einladung seinen Perspektiven auf das Leben und dem Innenleben seiner Figuren nachzuforschen. Die Feinsinnigkeit im Beobachten und Beschreiben ist getragen von einer Stimmung, die sich zusammensetzt aus Interesse und Resignation, aus Liebe und Verzweiflung, aus Trauer und Ironie.
Eine Person, Bruno, der Erzähler und Erzählte, fällt aus der Zeit. Er fällt und fällt und fällt aus seinem Leben, obwohl er es in dem Bemühen, sich durch einen Umzug von New York nach Lissabon ein neues Leben aufzubauen, an keiner Anstrengung und an keinem guten Willen fehlen lässt. Doch schon allein der Ansatz, dieselbe Wohnung wie in New York nachzubilden, lässt mich schaudern. Was ist das, wenn ein Mann, die Wohnung, in der er vermutlich Jahre – man weiss nicht so genau wie lange, denn die Zeit ist etwas sehr Relatives in dieser Geschichte – mit der geliebten Frau verbracht hat, wenn ein Mann genau diese Wohnung repliziert? Es kommt mir vor wie ein Schrein, in den der Verlorene zurückkehrt und in dem er sich seinen letzten Aufenthaltsort gestaltet als ewige Erinnerung. Etwas Neues wird nicht mehr passieren. Er erklärt sich selbst die Geschichte einer Liebe.

„Der Weltuntergang findet häufig statt. Überall kann in diesem Augenblick die Apokalypse ausbrechen.“
S.84

Für Bruno und Cäcilia war es der 11. September 2001, der Anschlag auf das World Trade Center, der eine Zäsur in ihr Leben setzte. Und er scheint selbst darüber zu staunen im Erinnern, wie sich Bedeutungen verschoben und das Leben in seinem Gleichlauf doch weiter stattfand. Er zieht Parallelen zu einem anderen, die Welt erschütternden Geschehen: In Lissabon erinnert er sich der historischen Ereignisse des Erdbebens von 1755, das über die Menschen hereinbrach und mit einer Feuersbrunst und einem Tsunami alles erschütterte, auch den Glauben, und zu einer erneuten heftigen Theodizee- Diskussion Anlass gab: Wie konnte Gott ein gütiger Gott bleiben?

„Ich habe gelesen, dass dieser Teil der Stadt von der Zerstörung nicht betroffen war. Das Leben dürfte mit der gleichen merkwürdigen Normalität weitergegangen sein, wie in unserem Viertel in Manhattan am Morgen und am Nachmittag des 11. September.“
S.85

Es ist dieses selvbstverständliche Nebeneinander von Angst und Gleichmut. Cecilia, Neurowissenschaftlerin, die Frau, auf die er wartet, wird von ihm viel zitiert in ihren Ausführungen zum Gehirn. Die Amygdala, tief im Zentrum unseres Gehirns, für unsere emotionalen Reaktionen verantwortlich, aktiviert für Erinnerungen und Vorstellungen dieselben Synapsen. Das ist interessant. Es spielt keine Rolle, ob die Vergangenheit gefühlt wird, oder die Idee von Zukunft. Die emotionale Erregung ist dieselbe. Und Bruno entscheidet sich für die Vergangenheit. Wenn er an eine Zukunft denkt, dann denkt er sie bereits in einer Vergangenheitsform. Dann wird es so gewesen sein.
Er will in seiner Vergangenheit bleiben. Ob es eine Wahl ist oder ein Schutz wissen wir nicht.
Auf zauberhafte Art und Weise erzählt er von der Liebe, die für ihn noch nicht vergangen ist. Er wartet auf die Ankunft von Cecilia. Die Kleinigkeiten in seinem Tageslauf, wie er die Personen und die Dinge wahrnimmt, wie er sich erinnert an die vergangenen Ereignisse, das alles macht ihn zu einem melancholischen Einzelgänger, der doch so sehr abhängt von seiner Liebe. Mit den Ereignissen des 11. September schien das Leben zwar im Alltäglichen weiter seinen Gang zu gehen, doch gleichzeitig war nichts mehr wie zuvor. New York war nicht mehr New York, nicht mehr die Stadt, in der er leben wollte. Und doch hatte er mit Cecilia noch viele Jahre dort verbracht. Er selbst in einem Beruf, der für ihn immer nur eine Last und eine Maskerade war. Mit viel mehr Begeisterung erzählt er von Cecilias Forschungsarbeit. Auch wenn das nüchterne Töten der Versuchsratten, so, wie er es beschreibt, ein seltsames Bild aufsteigen lässt, von Cecilia, von ihrer Forschung und von der Beziehung, so schwächt das doch in keiner Weise seine hingebungsvolle Liebe und die Bewunderung ihrer Arbeit.

„Der Platz der Angst im Gehirn, der sich in der Amygdala befindet, und der der Erinnerung, der im Hippocampus beheimatet ist, haben überreichliche Verbindungen untereinander.“
S. 97

Solange die Erinnerung lebt, existiert auch die Angst. Wenn sie auch nicht direkt thematisiert wird, so ist sie doch präsent. Und es ist ein interessantes Gedankenexperiment: wenn eine freudvoll erwartete Zukunft bereits als Erinnerung erlebt wird, vermag sie die angstbesetzten Erinnerungen zu nivellieren?

„Mir war nur jeder Zeitbegriff abhanden gekommen. Ich wusste weder, welches Jahr wir hatten, noch in welchem ich geboren war. Vergebens versuchte ich mein Alter zu schätzen.“
S.99

Eine außergewöhnliche Geschichte des Wartens, die mich ganz und gar für diesen Autor eingenommen hat.

Antonio Munoz Molina: Tage ohne Cecilia
Penguin Verlag, Originalausgabe 2019, deutsche Ausgabe München, 2022

Vielen Dank an den Verlag für das Leseexemplar

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