Benedict Wells: Becks letzter Sommer

Es gibt wenige Passagen, in denen die damalige Jugend des Autors herausklingt. Das liegt auch daran, dass Benedict Wells’ Schreibstil so betont lässig daherkommt. Ich stelle mir beim Lesen vor, wie dieser 24-jährige Autor damals, selbst ein bisschen so aussehend wie Beck in dieser Geschichte, den Roman einfach so aufs Papier gebracht hat, ohne große Anstrengung, flüssig, in einem Guß. So liest er sich jedenfalls.
Beck ist siebenunddreißig Jahre alt, Lehrer – was nie wirklich sein Wunschberuf war -, Liebhaber ohne echt lieben zu können , Musiker -der die Leidenschaft verloren hat, also kurzum, jemand, der sich fragt, was er von diesem Leben noch will. Es sind die außergewöhnlichen Begegnungen, die zu ungewöhnlichen Entscheidungen führen und plötzlich ist alles anders und vieles möglich.

Das Buch ist für mich der Vorreiter von „Fast genial“, 2011 erschienen, meinem Lieblingsbuch von Benedict Wells. In beiden Büchern ist es ein Road Trip, bei dem auf der Reise, durch die Bewegung und die Erlebnisse, im Innenleben der Hauptprotagonisten alles noch mal neu gemischelt und auf den Kopf gestellt wird. Und dabei entstehen sowohl bizarre als auch humorvolle und tiefsinnige Situationsbeschreibungen, die ich so sehr liebe am Stil von Wells.
„Becks letzter Sommer“ ist der Debütroman des Autors, 2008 im zarten Alter von 24 Jahren geschrieben. Sein eigentlich erster Roman „Der Spinner“, schon mit 19 Jahren geschrieben, wurde vom Verlag nachgeschoben.

Wie eine Auflistung der Titel einer Schallplatte oder CD mit A-Seite und B-Seite sind die Kapitel mit Titeln überschrieben und wie es immer war bei den guten Platten, ist auf der B-Seite manche Überraschung in anderen Tönen zu finden. Der erste Teil der Geschichte spielt in München, größtenteils an authentischen Orten zu denen der junge, weitenbummelnde Autor persönliche Bezüge hat. Es ist eine Geschichte der gescheiterten Träume und der verlorenen Hoffnung.
Im zweiten Teil ist der an sich selbst zweifelnde und verzweifelnde Lehrer Beck mit seinem für die Musik begnadeten und genialen Schüler Pauli Kantas und seinem einst hypochondrischen und nun drogenabhängigen besten Freund Charlie unterwegs nach Istanbul, auf einer turbulenten Reise, auf der auch Drogen in einschlägiger Szene vertickt werden müssen und die Reise mehrmals auf Messers Schneide bringen. Beck verlagert sein Wünschen und Sehnen auf den Erfolg des Jungen. Im Lesen begleitet man Beck durch halb Europa und durch etliche Stationen seines Innenlebens, das nicht bereit ist, in der Resignation zu verharren.

„Ach Unsinn. Jeder Mensch hat doch diese Leere in sich. Sie gehört zum Leben dazu. Vielleicht ist es manchmal nur laut genug, dass man sie vergisst, man ist verliebt oder im Stress, aber wenn es ruhig um einen wird, dann spürt man sie wieder. Und was die anderen .Menschen angeht: Die sehen wahrscheinlich immer glücklicher aus, aber Sie sind ja auch nie dabei, wenn die ihre Wohnung aufschließen und sich mit einem Seufzer allein aufs Sofa fallen lassen. Man kann dieses Loch in sich nun mal nicht füllen. Man muss einfach lernen, damit zu leben … Sie sind Lehrer, sagen Sie?“

S.335

Etwas Besonderes sein, der Wunsch der Jugend. Im Laufe des Lebens geht so vieles verloren, auch die Überzeugung, ein einzigartiges Menschenleben zu führen, das etwas Besonderes hervorbringt. Becks Traum von der Musikerkarriere ist früh zerplatzt und er trottet durch sein Lehrerdasein, aus Gewohnheit. Er mag seine Schüler*innen, aber es reicht nicht für ein erfülltes Leben. Und mit dem Lieben klappt es auch nicht so recht. Die Begegnung mit dem jungen, begnadeten Musikgenie und einer jüngeren Frau, von der er denkt, dass sie eigentlich gar nicht sein Typ sei, reißt ihn aus seiner Lethargie. Für einen Moment scheint alles gut gehen zu können. Bis wieder ein Traum nach dem anderen Risse bekommt. Beck taumelt, die Ereignisse zwingen ihn, zu handeln. Und dann befindet man sich unversehens auf diesem Roadtrip durch die Oststaaten nach Istanbul, einer abenteuerlichen Fahrt, die Grenzen überschreitet. Was ist noch zu retten von den Träumen? Was kommt nach der – immer wieder kehrenden – Midlife-Crisis?

„Sie sind begnadet Robert, wissen Sie das? Sie brauchen keine Angst zu haben. Sie haben eine Frau, die Sie liebt, und mit der Musik eine Leidenschaft, eine Berufung. Das sind Dinge, die alles überdauern können. Sie können noch als Achtzigjähriger mit einem Lächeln die Gitarre nehmen oder ihrer Frau einen Kuss geben. Es gibt keine Grenzen. Nicht, wenn Sie sich nicht selbst welche setzen.“

S.340

Dieses Zwiegespräch auf einem Pillentrip im Vorhof der Hölle – oder in einer Kneipe – mit dem geliebt-gehassten Bob Dylan ist atmosphärisch so bizarr, wie man sich einen solchen Trip vorstellt. Und er macht das so nebenbei. Benedict Wells braucht nicht viele Worte dazu.

„Also denken Sie immer daran: Es geht nur um Erinnerungen.“

S.342

Was in Erinnerung bleibt, sind Emotionen, die nicht beschrieben werden mussten, weil der Autor es einfach kann.

Der junge Benedict von Schirach hatte sich nach seiner Schulzeit in Wells umbenannt, und dies auch amtlich bestätigen lassen. Der Name ist als Hommage der Figur Homer Wells aus „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ von John Irving entlehnt, in meinen Zwanzigern einer meiner Lieblingsautoren. Auch einer, der das so gut konnte: die Emotionen bei den Leser*innen aus den Situationen heraus entstehen lassen, in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit.

Übrigens: Der gleichnamige Film hat mich nicht begeistert, obwohl ich Christian Ulmen für eine hervorragende Besetzung für diese Rolle halte. Zu viele Schlüsselelemente wurden weggelassen und ein anderes Ende gestaltet, als der Roman vorsieht. Also wer den Film gesehen hat: Roman trotzdem lesen, lohnt sich.

Benedict Wells: Becks letzter Sommer
Diogenes Verlag, Zürich, 2008

2 Antworten auf „Benedict Wells: Becks letzter Sommer

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