Jaron Lanier: Wem gehört die Zukunft?

Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg 2014, Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Wahrscheinlich lebten Menschen immer schon in sehr unterschiedlichen Welten, doch der Bruch zwischen den digital Natives und den digitalen Vollverweigerern ist ein so frappierender, dass man über diese Kluft hinweg kaum eine Sprache findet. Wie kann man erklären, was die technologischen Entwicklungen, jenseits aller schwarz-weiß Malerei für Potentiale und Gefahren bergen? Lanier macht das mit seinem Buch auf eine sehr anschauliche Art und Weise, seine Beispielbilder sind für Nerds nahe Realität, für Laien einfach Science Fiction.

Das Buch ist eine Abhandlung über die Möglichkeiten, Gefahren und Alternativen der enormen Rechnerleistungen der Gegenwart und Zukunft. Dass wir seit den NSA Abhörskandalen sensibilisiert sind für Datenmissbrauch ist evident, doch wie gehen wir weiter damit um? Apple und Google wollen gerade jetzt verschärfte Sicherheitsmaßnahmen zum Datenschutz einbauen und wer ist dagegen? Die Schützer der Sicherheit, weil sie keinen Zugriff mehr haben.

Lanier spricht in seinem Buch von „Sirenenservern“, Servern mit so großen Rechnerleistungen, dass sie die anderen Rechner im selben Netzwerk übertreffen (Beispiel: Google). „Die entscheidende Frage unserer Zeit lautet, ob wir – (…) – lernen werden, dem Lockruf der „Sirenenserver“ zu widerstehen.“ ( S.19) Damit ist auch gleich eine Aufgabe formuliert. Die größte Macht liegt heute in der Informationshoheit in einem Netzwerk. Zum Beispiel bei einem Tablet PC hat man bereits persönliche Informationen preisgegeben, bevor man es nutzen kann, und auf ihm laufen ausschließlich vom Hersteller genehmigte Programme. Der Verbraucher kann nur noch als Konsument zwischen verschiedenen Angeboten desselben Anbieters wählen.

„Die einzige Möglichkeit, nein zu dieser Pseudo-Alternative zu sagen, besteht darin, die Rolle des Verbrauchers abzustreifen, über sie hinauszuwachsen.“ (…) Es ist nicht nur so, dass Sie wildfremde Menschen reich machen, ohne selbst dabei reich zu werden, sondern Sie akzeptieren einen Angriff auf Ihren eigenen freien Willen, Bit für Bit.“ (24)

Wenn wir über die Informationsgesellschaft sprechen, muss uns klar sein, dass in Zukunft ein immer größerer Anteil der Produktion informationsvermittelt, über Softwareprogramme und Technik geregelt wird. Lanier spricht von steigender Arbeitslosigkeit und einer zunehmenden sozialen Schieflage für uns, die wir die notwendigen Lieferanten der Informationen sind. Seiner Ansicht nach sollten alle Menschen für alle Informationen, die sie liefern, bezahlt werden. Die Leistungsfähigkeit der Technologie verdoppelt sich mittlerweile alle zwei Jahre, eine weitere Potenzierung ist zu erwarten. Gekoppelt mit der kostenlosen Bereitstellung von Information bedeutet dies, dass eine Vielzahl von Mittelschichtberufen wegbrechen. Außer den Künstlern und Journalisten nennt Lanier auch das Transportwesen, Handwerk, Energiebereich, Verwaltung, Bildungs- und Gesundheitsbereich. Damit werden technische Güter erschwinglicher, möglicherweise aber Grundgüter zur Mangelware: „Die Preise für grundlegende Dinge wie Wasser und Lebensmittel könnten enorm steigen, während gleichzeitig unglaublich komplizierte Geräte wie praktisch unsichtbare Nanoroboter für Herzoperationen uns umschwirren würden wie Staubpartikel in der Luft, gesponsert von Werbekunden.“ (43)

Lanier beschreibt zwei Verteilungskurven für das Einkommen, das Starsystem und die Glockenkurve. Das Starsystem bedeutet: The winner takes it all. Außerdem verlieren wir das Verhältnis zum „Normalen“. „Ein hypereffizienter Markt, der optimiert wurde, um Starsysteme hervorzubringen, hat ein fatales Problem, denn bei diesem Markt wird es keine ausreichende Mittelschicht geben, die eine echte Marktdynamik unterstützt.“ (73) Aus diesem Grund haben wir in den Marktwirtschaften, um die Konzentration von Kapital und Privilegien einzuschränken, sogenannte „Deiche“ eingebaut, z.B. soziale Sicherungssysteme, Versicherungen, Gewerkschaften, Urheberrechte, Patente, etc. Diese Deiche sollen verhindern, dass Kapital ungebremst in eine Richtung fließt.

Was, wenn wir alle irgendwann einen 3D Drucker zu Hause haben? Unser Nachbar wird uns den ersten 3D Drucker ausdrucken, danach drucken wir unsere Kleidung, unser Essen, unsere Musikinstrumente aus. Autos fahren von selbst, Bildung erfolgt informell über das Internet (i-versity) – formelle Bildung wird gleichzeitig umso teurer, Pflegeroboter werden derzeit auf emotionale Fähigkeiten trainiert, kurz: viele Berufe werden überflüssig.

Es entstehen neue Märkte: Online-Partnerbörsen, e-books, Startup-Plattformen etc. Nach Lanier sind es gerade die Start-Ups, die zu neuem wirtschaftlichem Wachstum führen können. Der Verbraucher wird hier zum Investor.

Trotz alle dem ist die Technik nicht das Mittel der Zerstörung, ein Biosystem ist kein lineares System und wir können nicht hinter die Entwicklungen der Technik zurück, aber wir können die Entwicklungen beeinflussen. Der Mensch wird, auch in der technologisierten Informationsgesellschaft, immer gebraucht. Und die Absurdität, die durch die technischen Möglichkeiten entstehen kann, hat immer wieder gezeigt, dass grenzenlose Entwicklungen auch zum schnellen Ende eines Systems führen können. So ist denkbar, dass Google sich irgendwann auflöst, wenn so viel softwarezentriert geworden und dabei kostenlos erhältlich ist, dass es nichts mehr gibt, wofür man bei Google Werbung schalten könnte.

Im Gebrauch von Nutzungsdaten gibt es einen Hang zur Grenzenlosigkeit, Lanier nennt „Nullbegrenzung“ die absolute Verfügbarkeit z.B. jedes Musikstücks an jedem Ort zu jeder Zeit. Wo führt das hin? Der Verdienst der Sirenenserver ist daran gekoppelt, dass sie ihren Nutzern algorythmenberechnete Empfehlungen für Filme, Musik etc, aussprechen und über die Werbeeinnahmen ihre Gewinne machen. Das ist der Verlust der Freiheit und der Verlust der Partikularität. Dem sollte man nach Laniers Empfehlung widerstehen. (Wie intelligent sind wir als Konsumenten?) Er macht sich stark für eine so genannte „humanistische Informationsökonomie“. Humanistisch bedeutet für ihn: von mehreren Ebenen ausgehen, auch einer Spirituellen. Die Vernunft allein reicht seiner Auffassung nach nicht aus, um den Menschen zu erklären oder eine Lebensphilosophie zu begründen.

Für Lanier hat das Internet viele positive Entwicklungen gebracht und er ist optimistisch: „Insgesamt sind die Leute immer kreativer, gutwilliger und erfinderischer, als man anfangs dachte.“ (271) Lanier knüpft das Maß an Demokratie an die Kosten für Information und damit an einen „Zugang zu materieller Würde“ (276) „In einer Welt, in der nicht immer weniger, sondern immer mehr Dingen ein Geldwert zugeordnet wird, könnte sich eine an der Mittelschicht ausgerichtete Informationsökonomie entwickeln, in der Informationen nicht kostenlos sind, aber jeder sie sich leisten kann.“ (277) Und wenn sämtliche Informationen monetarisiert werden, entsteht eine neue Art von Wirtschaftswachstum.

„Es gibt einen guten Test, um festzustellen, ob ein Wirtschaftssystem human ist oder nicht. Ein Wirtschaftssystem ist human, wenn ich mir einen Spielraum erwirtschaften kann, um eine Weile aus dem Wirtschaftssystem auszusteigen, ohne mir selbst oder anderen zu schaden.“ (454) Sein Vorschlag: dass sich Einzelpersonen über die Informationen, die sie schaffen, ein Einkommen oberhalb der Armutsgrenze ermöglichen.

Laniers Gedanken sind mehr als interessant und, klar, damit würden eine Menge neuer Arbeitsplätze entstehen zur Berechnung, Bündelung, Beratung, Sicherung und Monetarisierung der Informationsdaten. Aber es gibt auch noch andere Modelle…

NDR-Kulturjournal

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