Mit dem Hinweis „Die wahre Vorgeschichte von Thomas Manns Zauberberg“ legt Daniela Holsboer die Erwartungslatte hoch an für ihren Debütroman. Ob es zur Überschätzung führt oder dem Roman guttut – vermutlich beides. Es weckt auf jeden Fall Interesse, zumal bei Thomas Mann-Interessierten.
Tatsächlich ist diese Geschichte von der Faktenlage her die Entwicklungsgeschichte des Bergdorfes Davos hin zum international beliebten Kurort für Lungenerkrankungen und somit die Vorgeschichte zur Entwicklung des mondänen Ortes, explizit der Schatzalp, die in Anlehnung mit zum Schauplatz des „Zauberbergs“ wurde. Von diesen Fakten abgesehen hat dieser Roman nichts mit Thomas Manns Zauberberg zu tun, allerdings hätte „Der Zauberberg“ so nicht entstehen können, wenn nicht Willem Jan Holsboer sein Leben der Entwicklung und Gestaltung dieses Ortes gewidmet hätte.
„Dieser Roman beruht auf wahren Begebenheiten.
Und dem magischen Rest.“
S.7
Daniela Holsboer taucht ein in die Familiengeschichte und erzählt uns auf wunderbare Weise von den Reisen des Urgroßvaters ihres Mannes, Willem Jan Holsboer, der einst als Seemann einen besonderen Zugang zu den magisch-kraftvollen Zeichen der Natur hatte und der auch andere begeistern konnte: eine Mannschaft, einen Bankier, eine ganze Finanzwelt. Ein Mensch, der begeistern kann, lässt sich auch begeistern. Das ist sein Lebensimpuls. Er braucht die Inspiration des Außergewöhnlichen, des Gewagten und auch des Grenzüberschreitenden. Nur so, wird hier im Roman glaubhaft und detailgetreu geschildert, ist die Entwicklung dieses Bergbauerndorfes zu dem, was die Welt begeistert, möglich. Und diese Inspiration für sein Lebenswerk in Davos gibt ihm seine erste Frau Margaret, mit der er auf mühevollen Wegen in das Bergdorf Davos fährt, mit dem Wunsch, sie von ihrer Tuberkulose zu heilen.
Das Buch ist spannend, die Biografie von Willem Jan Holsboer ist in eine romanhafte Geschichte verpackt, die mir niemals lang vorkam. Aber die Lust am Mondänen, diese gewaltige Verschwendungsliebhaberei und Dekadenz, die mit der Bedürfnisbefriedigung derer einhergeht, die sich ganz selbstverständlich mit ihrer privilegierten Situation auch ein Privileg auf Gesundheit, sogar ein Privileg auf eine besondere Art des Leidens erkaufen, diese Glorifizierung des materiellen Überschwangs stößt mir persönlich als verantwortungsloser Lebensstil auf, gleichwohl kann ich dieses ausschweifend Überfeinerte verstehen als Inspirationsquelle.
„… Willem Jan Holsboer brauchte auch eine Frau, die sich vor Extravaganz kaum bändigen ließe, eine Verbündete, mit der er die edelsten Vollblutpferde stehlen konnte, einen partner in crime in sämtlichen, für andere unnachvollziehbaren Luxusangelegenheiten.“
S.148
Zauberhaft wiederum sind die Beschreibungen der Liebe, die Nähe von Tod und rauschhaftem Leben- und Liebenwollen. Hier entfaltet Daniela Holsboer ihre schriftstellerische Besonderheit im Ausdruck des Liebens, auch über den Tod hinaus.
„Liebende, nach denen der Tod griff, waren besonders empfänglich – für all die Zwischentöne des Seins, die sanften Melodien, die in allem schlummerten. Willem wollte lieben, sich von keinem Hindernis, nicht einmal dem Tod, aufhalten lassen, ja die Liebe schien im Angesicht des Todes noch mehr zu können und zu wagen als sonst.“
S.164/65
Doch dann kommen wieder diese Dekadenzen, die all das Zauberhafte – für mich – mit einem Beigeschmack von Exaltiertheit belegen, die Verantwortungslosigkeit ausdrückt. Aber da bin ich von meiner Lebenseinstellung her einfach die falsche Rezensentin:
„>>Ich sehe es gar nicht ein, mich mit tiefgründigen Dingen zu beschäftigen, wenn mich die oberflächlichen so sehr reizen.<< Warum solle man sich über Politik den Kopf zerbrechen, if there is fashion?“
S.185
Natürlich kann man Dialoge zu solchen Dingen bringen, das ist nicht das Problem, sondern die glorifizierte Begeisterung, die den Überfluss heroisiert als einzige Inspirationsquelle für die Entwicklungen, die hier vonstatten gehen, macht diese Einstellung zur Grundlage nicht nur dieser Geschichte sondern auch zur fortschrittlichen Entwicklung dieses Bergdorfes. Man müsste darüber diskutieren, ob der Fortschritt hier vornehmlich Dekadenz widerspiegelt.
Die Dialoge mit Robert Louis Stevenson („Die Schatzinsel) und Sir Arthur Canon Doyle (Sherlock Holmes), die sich ja auch tatsächlich in Davos aufgehalten haben, sind interessant. Der Spiritismus erfreute sich in der damaligen Zeit wohl großer Beliebtheit in bestimmten Kreisen, gerade auch in Großbritannien, wurde aber bereits in der Zeit, in der dieser Roman spielt, auch schon wieder diskreditiert. Für Willem Jan Holsboer und die gesamte Entwicklung des Romans spielt er eine bedeutende Rolle und macht die Geschichte zu einer großen Liebesgeschichte. Für seine erste Frau entwickelt er geradezu übermenschliche Kräfte, um etwas zu erschaffen, das ihren Ansprüchen genügt hätte, sie ist seine Muse und Inspiration bis zum Ende.
Daniela Holsboer: Der Zauber des Berges
Verlag Tradition, Ahrensburg, 2024
Vielen Dank an die Autorin für das Rezensionsexemplar!
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