Im ersten Teil der Dilogie, „Kaiserwald“, hat Anja Jonuleit mehrere Handlungsstränge aufgemacht, in der Vergangenheit und in der Gegenwart, und die Geschichten ineinanderspielen lassen. Vermutungen zu Personenidentitäten und zu Zusammenhängen aus Vergangenheit und Gegenwart taten sich auf und machten das Warten auf den zweiten Teil spannend.
Und der zweite Teil hält, was er verspricht. In vielerlei Hinsicht ist der Roman „Sonnenwende“ Schritt für Schritt eine Auflösung der Rätsel des ersten Teils. Und wie es Anja Jonuleit immer im Schreiben unternimmt, ist die Hintergrundgeschichte eine durch und durch politische, ein politischer Skandal.
Penelope bekommt 25 Jahre nach dem Verschwinden ihrer Mutter Rebecca eine rätselhafte Nachricht. Die veranlasst sie dazu, sich einer Geldadel- und Diplomaten-Familie anzunähern, die sie mit diesem Verschwinden in Zusammenhang bringt. Und da sind diese Ökodörfer, eine Stiftung, dubiose Geldverschiebungen, denen sie nach und nach auf die Spur kommt, um am Ende selbst beinahe Opfer von Anhängern einer demokratiefeindlichen Gesinnung zu werden. Spannend und mit unerwarteten Überraschungen bis zum Schluss, öffnet Anja Jonuleit hier ein ganz dunkles Kapitel der deutschen Gegenwart.
Rebecca vor 25 Jahren. Eine junge Deutschlehrern in Lettland, verliebt sich in den charismatischen Georg, der mit seiner Frau eine Stiftung betreut, die ein Ökodorf in Lettland mit traditionellen Werten, einer einfachen Lebensweise und intensiver Naturverbundenheit als Alternativentwurf zum dekadenten Leben der Gegenwart aufbaut. Rebecca verschwindet auf mysteriöse Art und Weise und ihre Tochter Penelope wächst bei den Großeltern im Allgäu auf.
25 Jahre später entdeckt Penelope, dass ihre Mutter möglicherweise verschwinden musste, weil sie etwas wusste, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Dass Penelope sich bei ihrer Recherche wahrhaftig verlieben würde, in den Sohn der Stifterfamilie, in Falk, das hatte sie nicht erwartet. Und das bringt auch ihre Scharade, bei der sie sich als eine andere Person ausgibt, um kein Misstrauen zu wecken, beinahe zum Stürzen.
Puzzleteil für Puzzleteil fügt sich zusammen, als Penelope im Ökodorf Fotos von der Stifterin beim Entzünden des Feuers zum Ostara-Fest, der heidnischen Entsprechung und dem Vorläufer zum Osterfeuer, im Stile Leni Riefenstahls inszeniert findet, wie Olympia ’36. „Wurzel-Ökos“ und NSDAP, wie passt das zusammen? Blut und Boden, mehr soll hier nicht verraten werden.
Und wie soll eine junge Liebe all das überleben, dieses Ränkespiel um Machtübernahme, angestrebter Räteregierung und Mord und Attentaten? Die Romantisierung von Falk, diesem jungen Mann aus der Stiftungsfamilie, der von so vielem nichts mitbekommen haben und sich in kluger Naivität bisher keine Feinde gemacht haben soll, und dabei mit so einem warmen, liebenden Herzen ausgestattet immer noch zur Vergebung fähig bleibt, diese Figur erscheint mir zu märchenhaft. Alle anderen Figuren sind glaubwürdiger und als Protagonist*innen eines Krimis in einer guten Mischung und mit ihren kleinen Widersprüchlichkeiten gut aufgestellt. Für Liebhaber*innen von Krimis mit politischem Hintergrund sind diese beiden Bücher zu empfehlen.
Anja Jonuleit: Sonnenwende
Pinguin Verlag, München 2024
Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar
Danke und gute Feiertage!
LikeLike