Frank Schätzing: Der Schwarm

Eigentlich schon ein alter Schinken, aber grad jetzt, zu dieser Sommerzeit mit einem Wetterextrem nach dem anderen ein absolut aktueller und anregender Klimathriller. So einen 1000 Seiten-Schätzing hatte ich bisher noch nicht auf dem Tisch, aber der hat mich gepackt. Die Anregung dazu hat tatsächlich eine ZDF-Serie geliefert. Auf der Basis von Schätzings Roman entstand eine 8-teilige Serie, die mich neugierig gemacht hat auf mehr. Um dem Roman gerecht zu werden, hätte es dreißig oder vierzig Folgen gebraucht, aber auch in der abgewandelten Form auf jeden Fall sehenswert. https://www.zdf.de/serien/der-schwarm (Fernsehpreis 2023 Bester Mehrteiler)

Die Natur schlägt zurück. In der Fernsehserie mutet es etwas seltsam an, als ein Kollektiv aus Wissenschaftlern vor einem internationalen Council von einer anderen Intelligenz spricht, die in absichtsvollem Verhalten von mutierten Meerestieren ausgehend einen Angriff auf die Menschheit startet. Aufgrund der Kürze ist diese Theorie hier reine Science Fiction. In Schätzings Roman ist das alles sehr detailliert ausgearbeitet und entwickelt sich eher als eine Theorie, die den Menschen in seinem Größenwahn zurechtstutzt und eine andere Perspektive anbietet.

Es gibt in der Wissenschaft unterschiedliche Ansätze zum Verständnis von GAIA, Mutter Erde. Die einen betrachten sie als ein beseeltes Wesen, das dementsprechend mit absichtsvollem Handeln reagiert und auf unsere Umweltzerstörung mit entsprechenden Maßnahmen antwortet. Die andern betrachten Gaia als einen großen Organismus, als ein autopoetisches System, in dem alle Organismen zusammenwirken und ein Gleichgewicht bilden. In dieser Anschauungsweise braucht es keine „Seele“. Ein organisches System reagiert ganz einfach mit Symptomen – der Überreizung, der Überlastung, durch Störung der Gleichgewichte ausgelöste Stressreaktionen – und als solche betrachtet spiegeln die derzeitigen Wetterereignisse den Grad der bereits verursachten Schäden und lassen uns ahnen, wie rasant sich diese Symptomentwicklung potenziert.
Das Leben findet nicht auf der Erde statt, sondern die Erde ist das Leben. Und weil wir das, ganz ohne jegliche romantische Verklärung, anscheinend nicht begreifen, ist Schätzings Idee, eine viiiiiel viel ältere Spezies einzuschalten ein treffendes, überspitztes Gedankenexperiment. Ein Organismus, der nicht nur dazulernt, sondern dessen gesamte Existenz nur über das Kollektiv zu verstehen ist, und der nicht vergisst. Das wäre mal eine Qualität, man müsste solch einem Organismus sofort die absolute Überlegenheit über die Menschheit einräumen.

„Wenige Generationen, und wir verdrängen, ignorieren, vergessen. Außerstande, uns Vergangenes zu merken und daraus zu lernen, sind wir unfähig, die Zukunft zu betrachten. Menschen sind nicht geschaffen, das Ganze zu sehen und ihren Platz darin. Wir teilen nicht die Erinnerung der Welt.“
S.958

Setzte man die Existenz eines sich erinnernden und viel älteren Organismus als gesetzt, würde das den Menschen aus seinem Orbit der von Gott erschaffenen und als solche herrschenden Spezies auf der Stelle hinauskatapultieren. Eine erneute große Kränkung in der Geschichte der Menschheit. Doch der Mensch in seiner Hybris würde das a) nicht gelten lassen, b) über sofortige Vernichtung jeder anderen Existenz nachdenken.
Und genau darum herum entspinnt sich der sehr gut wissenschaftlich recherchierte Thriller: die unterschiedlichen Standpunkte, ihre politischen Interessen und Ansichten und in der Folge deren globale Auswirkungen.

Frank Schätzing: Der Schwarm
S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2005

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