Ian McEwan: Maschinen wie ich

Entwickelt ein intelligenter, zum Selbstlernen befähigter Maschinenmensch eine Persönlichkeit? Hat er eine Würde? Er ist programmiert. Persönlichkeitsmerkmale, übersetzt in Algorithmen, werden vom Besitzer gewählt. Ian McEwans Protagonist entscheidet sich bei der Auswahl der Merkmale seines künftigen Begleiters für Güte und Wahrhaftigkeit. Sein Adam ist eine Mensch gewordene Maschine der ersten Generation, die perfekt im Aussehen und in der Nachahmung wirkt. Etwas lernt diese Maschine aber nicht: einen zynischen Plan umzusetzen. Und noch etwas, wobei die Programmierer an ihre Grenzen stoßen: die Lüge, wie bringt man einem Roboter das Lügen bei?
Die erste Generation besteht aus 12 Adams und 13 Eves.
„Sie sind nach rationalen Grundsätzen geschaffen, anderen Menschen gegenüber positiv eingestellt, und nun wird ihr Verstand von einem Hurrikan von Widersprüchen erfasst (…) Wir lieben Lebendiges, lassen aber massenhaftes Artensterben zu. Und dann der ganze Rest – Genozid, Folter, Versklavung, häusliche Gewalt bis hin zum Mord, Kindesmissbrauch, Schiessereien in Schulen, Vergewaltigungen, täglich eine schier endlose Zahl skandalöser Gräueltaten. Wir leben mit all diesen Grausamkeiten und sind nicht mal erstaunt, wenn wir trotzdem unser Glück, sogar die Liebe finden. Künstliche Intelligenzen sind da weniger gut geschützt. (…) In all ihren Programmcodes gibt es nichts, was Adam und Eve auf Auschwitz vorbereiten könnte.“ (S.242/43)

Sie sind traurig, diese Maschinenmenschen. Schon bald hört man von den ersten Selbstauslöschungen. Ohne an dieser Stelle zu viel verraten zu wollen – denn einige der Gedanken sind durchaus anregend und der Storyplot ist gut gelungen und in sich geschlossen – , wenn sie nicht lernen können, wenn sie sich nicht entwickeln können, gehen sie zugrunde. Dieser Roman ist eine kreative Form einer möglichen Außenperspektive auf das menschliche Dasein. Interessanterweise wird auch reflektiert auf die menschlichen Muster, die uns durchaus etwas Maschinenähnliches geben. So wird der Protagonist selbst von seinem zukünftigen Schwiegervater beim ersten Kenenlernen für den Roboter gehalten. Das, was wir neurolinguistisch erklären mit Spiegelung des Gegenübers wird hier als unzureichende Programmierung gedeutet. Interessant.

McEwans Adam entwickelt eine Vision, die Vision einer Zukunft, in der Menschen und Maschinen verschmelzen – für eine bessere Welt. Eine Welt, die keine Literatur mehr braucht denn: „Fast alles, was ich in der Literatur der Welt gelesen habe, beschreibt Varianten menschlichen Versagens – mangelndes Verständnis, mangelnde Vernunft, mangelnde Weisheit oder das Fehlen von echtem Mitgefühl. Versagen, was Erkenntnis betrifft, Ehrlichkeit, Freundlichkeit, Introspektion; glänzende Darstellungen von Mord, Grausamkeit, Habgier, Dummheit, Selbsttäuschung und vor allem von tiefen Missverständnissen im Hinblick auf andere. (…) doch ist die Vereinigung von Männern und Frauen mit den Maschinen erst komplett, wird diese Art Literatur überflüssig werden, da wir einander dann zu gut verstehen. Wir werden in einer geistigen Gemeinschaft leben und zu jedem Kopf unmittelbaren Zugang haben. Die Vernetzung wird soweit gehen, dass die individuellen Knotenpunkte, der Subjektivität sich auflösen und in einem Ozean von Gedanken, wofür das Internet nur ein kruder Vorläufer ist. Und da wir in den Köpfen aller leben werden, wird jede Verstellung unmöglich.“ (S.202/203)

Ist das der Preis für ein weiterentwickeltes Leben ohne Leid: keine Individualität? Man kann mit diesem Roman trefflich die angeregten Gedankenexperimente weiterführen. Ein anregender Roman.

Ian McEwan: Maschinen wie ich und Menschen wie ihr. Diogenes Verlag, Zürich, 2019

2 Kommentare zu „Ian McEwan: Maschinen wie ich

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  1. Ja, ein interessanter Roman, fesselnd geschrieben (der arme, gerechte Adam und all die unglücklichen Eves) und der zum Nachdenken anregt. Gleich zu Anfang kommt die Frage auf, kann ein mittels neuralen Netzwerken perfekt simuliertes Bewusstsein dann auch unser menschliches Bewusstsein sein? Ich denke nein, denn gleichzeitig müsste auch unsere vielschichtige Möglichkeit des Vergessens und Verdrängens, ja die Fähigkeit des Träumens und vieles mehr in Algorithmen miterfasst werden.
    Ich hätte mir gewünscht, dass McEwan mehr realistischere Szenarien der künstlichen Intelligenz in seine Geschichte gepackt hätte, zum Beispiel die Auswirkungen der Interfaces vom Gehirn zu Maschinen und umgekehrt betreffend, so zum Beispiel, was passiert, wenn die Gehirn-Computer-Interfaces die Grenze (fire wall) zwischen unserem Bewusstsein und den Maschinen durchlässig machen.
    Den besten Einfall hatte McEwan auf Seite 59, als er den alten Go-Meister sagen lässt „das Reitpferd war nicht das Ende der Leichtathletik. Wir rennen, um der Freude willen.“
    Auch gut war sein Hinweis, am Rande seiner Geschichtserzählung: Das Scheitern des autonomen Fahrzeugverkehrs durch massive Sonneneruptionen. Im Übrigen ein realistisches Szenario, wir hatten die letzte heftige Eruption irgendwann Ende 2014 mit damals heftig degradierten Satelliten durch hochenergetische Teilchen, und meiner Meinung nach sträflich vernachlässigt in unserer heutigen vernetzten und digitalisierten Umwelt. Insofern beunruhigt mich das KI Getöse nicht allzu sehr, noch ist die Technik nur rudimentär entwickelt, und doch sollte man sich fragen, wem nützen diese Entwicklungen, dieser Technikdeterminismus auf die Zukunft gerichtet?
    Am Ende des Buches war ich enttäuscht, denn ich war mir sicher, dass Alain Turing ein „Ober-Adam“ ist….vielleicht war er es doch, nur bekam es Charlie nicht mit.
    Liebe Grüße

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    1. So eine Geschichte gibt eine Menge Inspiration. In der Beschäftigung mit wissenschaftlichen Erklärungsmodellen zur Psychologie und mit therapeutischen Ansätzen ging es mir kurzzeitig so, dass ich den Eindruck bekam, es wird vesucht, das gesamte menschliche Verhalten zu „algorythmisieren“. Wenn Verhalten in all seinen Ausformungen bestimmten Mustern folgt, ist es auch programmierbar. Doch letzthin geht es dann für jeden Menschen doch darum, seine Individualität zu retten. Sonst würden wir uns nicht lebendig fühlen. Mir ist es nicht klar, inwieweit unsere Komplexität der neuronalen Venetzung den Lernprogrammen einer Künstlichen Intelligenz vergleichbar ist. Es sind immer wieder die Emotionen, an denen sich heiße Diskussionen entzünden. Das Gehirn-Computer-Interface ist tatsächlich die Schnittstelle, mit der diese Grenze überschritten wird, die bisher Individualität markiert hat. Ich weiß nicht, wer das für die Zukunft seiner Kinder möchte. Ich vermute, dass so eine Möglichkeit – wiederum psychologisch betrachtet – in einem unkalkulierbaren Ausmaß zu Depersonalisations- und Derealisationserleben (Verlust des Persönlichkeitsbewusstseins) führen könnte.
      Mir hat an verschiedenen Stellen dieses Romans eine intensivere Spiegelung und Befragung zur eigenen Identität beim Protagonisten gefehlt. So ein Gegenüber müsste nach meinem Verständni eine viel größere Verunsicherung auslösen. Aber das wäre vielleicht Stoff für einen weiteren Roman …
      Liebe Grße

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