Die neue menschliche Agenda – was sind die Aufgaben der Zukunft? Was passiert, wenn die nächsten Ziele der Menschheit Unsterblichkeit, Glück und Göttlichkeit sein werden, weil wir mit intelligenter Technologie alle „technischen“ Probleme lösen können? Auf sehr intelligente und gut lesbare Art und Weise führt uns der israelische Historiker Harari zuerst ein in seine Herleitung der Grundmotivationen allen Strebens und Entwickelns. Das Streben nach Glück ist eine davon und während mit zunehmendem Glück gleichzeitig die Toleranz gegenüber unangenehmen Empfindungen stetig abnimmt – und in Folge dessen das Glück gar nicht zunehmen kann – gehen wir soweit, uns über die Biotechnologie (Bioengineering) noch mehr Glück zu versprechen, indem wir Leid und Schmerz so weit verbannen, dass wir in unserem Optimierungswahn den Gencode umentwickeln, den Menschen mit nicht-organischen Apparaten verschmelzen, ihn mit Nanorobotern ausstatten, der die Schäden am menschlichen Cyborg sofort repariert und haben keine Ahnung, was diese zukünftigen Menschen, die keine Menschen in unserem Sinne mehr sein werden, mit der intelligenten Technologie weiterhin anstellen.
Denn das ist bisher bei allen Veränderungen und Entwicklungen, vor allem der letzten 3000 Jahre seit Beginn schriftlicher Aufzeichnungen doch immer gleich geblieben: in einer Tiefenstruktur des Menschseins können wir immer noch die Schriften der Sumerer, des Konfuzius oder die Bibel verstehen. Die Konflikte und Dilemmata sind für uns nachvollziehbar, die Geschichte geht uns an, weil wir uns in ihr wiederfinden. Wie wird es sein für zukünftige Generationen, die mit intelligenter Technologie verbunden in ihrer menschlichen Tiefenstruktur anders als wir „ticken“ werden? Wir können es nicht wissen, wir können keine Ahnung davon haben. Wir sind bereits jetzt darum bemüht, die Fähigkeiten zu erlangen, die wir früher den Göttern zugeschrieben haben, wie zum Beispiel das Wetter steuern, Lebewesen erschaffen, mit Überschallgeschwindigkeit unterwegs sein. Warum sollen wir nicht als nächstes ewig leben wollen?
Und hier bringt Harari die Ökonomie, im besonderen den Kapitalismus, mit diesem unaufhörlich sich steigernden Streben in Verbindung: grenzenloses Wachstum braucht grenzenlose Projekte. Also: Unsterblichkeit, Glück und Göttlichkeit. Wobei diese Metaphern – vermute ich – hauptsächlich den omnipotenten Größenwahn herausstellen sollen. Eine weitere Verbindung wird hergestellt zum Humanismus und die ist verstörend:
„Doch der Aufstieg des Humanismus enthält auch die Saat zu seinem Sturz. Denn der Versuch, die Menschen zu Göttern zu erheben, führt den Humanismus nicht nur zu seinem logischen Schluss, sondern macht zugleich die dem Humanismus innewohnenden Schwächen deutlich. Wenn man mit einem mangelhaften Ideal beginnt, dann erkennt man seine Defizite oftmals erst dann, wenn es kurz vor der Verwirklichung steht.“ (Yuval: Homo Deus. C.H. Beck, München 2017, S.94)
Also im ersten Moment scheint hier eine in den Grundzügen fehlgeleitete Interpretation von Humanismus vorzuliegen. Gleichwohl kann Harari in den folgenden Kapiteln seine Verbindung von Humanismus als neuer Religion, Kapitalismus, Liberalismus und dem aus diesem Konglomerat entstehenden Größenwahn eine Skizze einer Zukunft zeichnen, die seinen Grundgedanken vom Humanismus als Ideologie unterfüttert.
In den Kapiteln „Homo Sapiens erobert die Welt“ und „Homo Sapiens gibt der Welt einen Sinn“ sind für den informierten Leser einige Zusammenhänge sicherlich bereits bekannt. Vor allem auch die Diskussion um die Entwicklung der Algorithmen und die Übernahme von Entscheidungen durch Berechnungen ist gegenwärtig ein in vielen Medien diskutiertes Thema. Hararis Vergleiche sind in seinem Zusammenhang besonders provozierend und deshalb auch Inspiration für viele weitere Überlegungen. Zum Beispiel begründen wir unsere Überlegenheit über Tiere mit unserer höheren Intelligenz.
„Wenn Computerprogramme übermenschliche Intelligenz und beispiellose Macht erlangen, sollten wir dann diese Programme mehr wertschätzen als Menschen? Wäre es beispielsweise in Ordnung, wenn eine künstliche Intelligenz die Menschen ausbeuten und sie sogar umbringen würde, um die eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu befriedigen? Wenn ihr das trotz ihrer überlegenen Intelligenz und Macht niemals erlaubt werden sollte, warum ist es dann für Menschen moralisch vertretbar, Schweine auszubeuten und zu töten?“ (Ebd., S.139)
Harari stellt viele Grundlegungen unseres landläufigen Verständnisses vom Menschsein noch einmal in Frage: Was, wenn es diesen Wesenskern eines Menschen, das was wir ein Selbst nennen, nicht gibt, wenn es das Individuum als ein Einzelnes, Unteilbares nicht gibt? Dann wäre es doch wohl gar nicht so schlimm, wenn wir das alles verlieren und in Algorithmen aufgehen, oder?
Besonders verstörend ist die Rolle des Humanismus in Hararis Universum:
„Die humanistische Religion betet die Menschheit an und erwartet, dass diese die Rolle spielt, die Gott im Christentum und im Islam und die Naturgesetze im Buddhismus und im Taoismus spielten. Gab traditionell der große kosmische Plan dem Leben der Menschen einen Sinn, so kehrt der Humanismus die Rollenverteilung um und geht davon aus, dass die Erfahrungen der Menschen dem großen Kosmos einen Sinn verleihen. Dem Humanismus zufolge müssen die Menschen aus ihren inneren Erlebnissen nicht nur den Sinn für ihr eigenes Leben beziehen, sondern auch den Sinn für das gesamte Universum. Das ist das Hauptgebot, das uns der Humanismus mit auf den Weg gegeben hat: Gib einer sinnlosen Welt einen Sinn.“ (Ebd., S.302)
So, und wie macht man das? Zunächst ist dafür eine Bedingung der Wille. Einem freien Willen eignet nun die oberste Autorität an. Schon bei Rousseau ist das Gebot der Stunde, dass der Mensch auf sich selbst höre, seinem Gewissen folge, denn er sei im Grunde seines Herzens gut und verfüge über eine natürliche Tugendhaftigkeit. Seither folgen wir unserem Gefühl und nicht mehr göttlichen Geboten. Mit dem Denken verhält es sich genauso: wir bringen unseren Kindern bei, selbst zu denken, um sie vor Ideologien zu schützen. Damit macht jeder sich selbst zum Schöpfer seines Universums.
Und nun verknüpft Harari den Humanismus mit dem Liberalismus, er setzt einen orthodoxen Zweig des Humanismus sogar gleich mit Liberalismus. Wo der Humanismus allen Reichtum im innersten Selbst erblickt, sieht der Sozialismus dagegen in diesem Selbsterkundungswahn die Gefahr, dabei die gesellschaftlichen Verhältnisse aus den Augen zu verlieren. Jeder Fortschritt, jede technische Entwicklung braucht für ihre potentielle Anwendung eine Begründung und die ist immer irgendwie religiös konnotiert, nach Harari, wobei er auch die politischen Ideologien unter einen religiösen Überbau subsumiert. Unsere Religion ist der Humanismus und dabei entwickeln wir, um die humanistischen Ziele durchzusetzen, posthumanistische Technologien.
Verlieren wir die Kontrolle? Das ist momentan die große Angst.
Der Freie Wille ist bereits abgeschafft, er hat nie existiert und mittels technologischer Stimulation lässt sich auch der Rest jeden Willens steuern. Wenn ich nach dem Ich schreie, antwortet eine „Kakophonie widerstreitender Stimmen“ (Ebd., S.392) Und jetzt gerät alles ins Wanken. Wir haben 200 Jahre für unsere politische Mitbestimmung gekämpft und erfahren nun, dass wir diese in Demokratien nur erhalten haben, weil BürgerInnen bessere SoldatInnen sind. Und nun, wenn wir die Armeen nicht mehr brauchen, wenn die Technik die Kriegsführung übernimmt, wozu brauchen wir dann noch die Massen? Anstatt sie jetzt politisch wieder zu entmündigen lassen wir sie verdummen und verarmen- was dann im Ergebnis auf dasselbe hinausläuft. Und die Verteilungsgerechtigkeit wird auch neu diskutiert: wer den besten Algorithmus besitzt, dem gehört die Welt (siehe Facebook oder Google). Und was ist mit der Kunst, der letzten Bastion des Menschen? Computerprogramme komponieren Sinfonien und schreiben Romane. Also womit werden wir uns in Zukunft beschäftigen, wenn unsere Arbeitsplätze durch intelligente Technologien ersetzt worden sind?
Mithilfe der Technik erschaffen wir den „Homo Deus“:
„Homo Deus wird einige wesentliche menschliche Merkmale behalten, aber auch über optimierte körperliche und geistige Fähigkeiten verfügen, die ihn in die Lage versetzen werden, sich sogar gegen die ausgeklügeltsten nicht-bewussten Algorithmen zu behaupten. Da Intelligenz sich vom Bewusstsein abkoppelt und nicht-bewusste Intelligenz sich in halsbrecherischem Tempo entwickelt, müssen Menschen ihren Geist aktiv optimieren, wenn sie im Spiel bleiben wollen.“ (Ebd., S.476)
An den Schnittstellen zwischen Gehirn und intelligenter Technologie wird in den Laboren längst gearbeitet, Ratten entwickeln bereits mittels Mikrochip für ihre Verhältnisse übersinnliche Kräfte und die mittels Computerchip leistungs- und lernfähigeren Schüler sind nicht mehr unerreichbar. Harari nennt dies Techno- Humanismus, ein Begriff, der mir als Widerspruch erscheint. Aber:
„Dem Humanismus zufolge verleihen nur menschliche Wünsche der Welt einen Sinn. Doch wenn wir unsere Wünsche wählen könnten, auf welcher Grundlage könnten wir dann solche Entscheidungen treffen?“ (…) Wir werden mit solchen Technologien niemals zurechtkommen, solange wir glauben, dass der menschliche Wille und die menschliche Erfahrung die höchste Quelle von Autorität und Sinn sind.“ (Ebd., S.494/95)
Nicht alles wird von den Technologien absorbiert werden, vielleicht gibt es sogar in manchen Bereichen einen Rollback. Doch die Diskussion um die Gefahren ist extrem wichtig und ein wichtiger Gedanke dazu ist auch die Frage am Ende von Yuvals Buch: „Durften Sie jemals über die Gestalt des Cyberspace abstimmen?“ (Ebd., S.506)
Nein, das durften wir nicht, die meisten wären wahrscheinlich auch überfordert, aber dass wir immer noch mit einem Internet interagieren, das eine freie und rechtlose Zone zu sein scheint ist eigentlich ein Skandal. Den Technologien die Ketten anlegen, dem Datenverarbeitungssystem nicht Allwissenheit und damit Allmächtigkeit überlassen, unsere Erlebnisse nicht in Daten umwandeln, den Zug haben wir längst verpasst. Wir stehen an der Wende von einer homozentrischen zu einer datazentrischen Weltsicht. Harai gibt uns drei Schlüsselfragen als Abschluss dieses Buches zum Weiterdenken:
- Sind Organismen wirklich nur Algorithmen, und ist Leben wirklich nur Datenverarbeitung?
- Was ist wertvoller – Intelligenz oder Bewusstsein?
- Was wird aus unserer Gesellschaft, unserer Politik und unserem Alltagsleben, wenn nichtbewusste, aber hochintelligente Algorithmen uns besser kennen als wir uns selbst?
Seine zum Teil überspitzten Provokationen wirken auf jeden Fall nach, man beginnt zu überlegen, wie man seine aufgestellten Thesen widerlegen könnte. Und das macht diese Lektüre so interessant. Ich hätte gute Lust, seine Thesen zum Humanismus zu zerpflücken, aber das wird richtig Arbeit …
Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn, C.H. Beck, München 2017
Bei Bücher-Kater-Tee habe ich eine weitere interessante Besprechung entdeckt.
Harari’s letztes Buch – Eine kurze Geschichte der Menschheit – ließ hoffen auf ein weiteres inspirierendes Lesevergnügen. Leider entsprach sein aktuelles Buch, Homo Deus, nicht meinen Erwartungen. Lag es daran, dass ich Deine, hervorragende, Rezession vorab gelesen habe? In diesem Buch werden Behauptungen aufgestellt, die vielleicht diskussionswürdig sind aber als naturgegeben dargestellt werden. Zum Beispiel wird dargestellt, dass die Menschheit in einem nächsten Schritt ein glückliches Leben anstreben wird, gleichwohl das „glücklich sein“ nur temporär wirkt und die Menschheit besser eine Zufriedenheit anstreben sollte, was allerdings in seinem Buch nicht als Option angesprochen wird. Auch zu dem Thema des Humanismus fiel mir auf, dass Harari diesen als praktiziert in den letzten 300 Jahren darstellt und die Zeit reif sei, den Humanismus neu zu definieren. Ich kann nur zur Kenntnis nehmen, dass zwar eine „Bildung zur Menschlichkeit“ gedacht und formuliert wurde, aber diese Ideen nur rudimentär praktiziert wurde. Wirst Du die Zeit finden, den Humanismus im Kontext zu diesem Buch zu diskutieren (würde es mir wünschen)?
Manchmal hatte ich den Eindruck, dass Harari nicht sehr präzise denkt bzw. formuliert. Er schreibt zum Beispiel, dass Gott endgültig tot ist und wir uns zu Göttern, zumindest analog des griechischen antiken Götterhimmels, erheben werden. Dies würde heißen, erstens dass Gott lebt oder vermeintlich gelebt hat – was eine sehr menschliche Vorstellungsweise wäre, fehlt nur noch der lange Bart, und zweitens, dass die Menschheit einem Mythos (Zeus & Co) anstreben würde.
Es ist schon bemerkenswert, dieses Buch zu schreiben und verschiedene Szenarien in der Zukunft andenken zu können. Auf der anderen Seite denke ich, dass auch ein Harari die heutigen, äußerst komplizierten Zusammenhänge, Überschneidungen und Konsequenzen diverser Forschungsrichtungen schwerlich überblicken und einschätzen kann.
Herzliche Grüße, Ernst
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Jaaaa, das mit dem Humanismus, das müssen wir noch mal diskutieren! 😉
Ich habe im Nachhinein die ersten und die letzten Seiten noch mal gelesen, mit der Frage: in welche Richtung zielte denn seine Intention und ich denke mal, es ist eigentlich als eine Aufforderung gedacht, anhand der dargestellten Motivationen und Wege des Menschen in der Geschichte, darüber nachzudenken, wie viel Zugriff und Kontrolle wir der Datenverarbeitung und der Analyse durch Algorithmen zugestehen wollen. Die dargestellten Motivationen sind eine Engführung und dienen, glaube ich, als Zuspitzung und Vereinfachung. An der Stelle – und, an anderen wie z.B. der mit dem Humanismus und wie du schreibst, bei der Auslegung von Religion – kann man sicherlich einiges kritisieren. Für mich hat es, vor allem was die in eine Zukunft gerichteten Gedanken angeht, viel fruchtbaren Stoff zum Nachdenken geliefert und sein vorletzter Satz: „Was ist wertvoller – Intelligenz oder Bewusstsein?“ (Ebd., S.536) ist nicht eigentlich eine Frage, sondern bereits eine Antwort, die versucht, in die Gestaltung der Gegenwart im Bewusstsein auf eine Zukunft zu greifen.
Danke für deinen Kommentar, lieber Ernst.
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