Dagmar Leupold: Die Helligkeit der Nacht/ Die Witwen

Die Helligkeit der Nacht. Ein Journal.
Verlag CH.Beck, München 2009

Heinrich von Kleist, ein Rebell in der Dichtung und Ulrike Meinhof, RAF-Terroristin, in einem fiktiven Briefmonolog zusammenzubringen ist schon ein Kunstgriff und bedarf der Stilsicherheit. Im Jahr 2008, als durch Stefan Austs neu überarbeitet Geschichte der RAF  und dem gleichnamigen Film dazu die Büchertische voll waren mit diesem Thema, begibt sich der vor 200 Jahren verstorbene Heinrich von Kleist auf Spurensuche.

Kleist schickt hier sein Gedachtes in Form von fantasierten Briefen an Ulrike Meinhof. In dichterischer Gestalt wird hier mit vielen intertextuellen Bezügen eine Seelenverwandtschaft im Rebellentum gefeiert, allerdings aus Kleists Perspektive mit klarer Absage an den Umschlag in Gewalt. Allein das Wort bedeutet ihm alles und so analysiert er auch Ulrike Meinhofs Sprachentwicklung, von ihrer einstigen journalistischen Sprachgewandtheit hin zur fanatischen Engführung. Damit wird ein Kaleidoskop an Erinnerungsbildern eröffnet, mit neuen Interpretationsmöglichkeiten. Ein hohes Maß an Intertextualität erfreut das Leserherz. Sämtliche Stücke von Kleist wie auch Bezüge zu bekannten Aufsätzen Ulrike Meinhofs und zu ihrer Biographie veleiten zur Literaturrecherche (Über dieses Buch bin ich übrigens wieder auf den Michael Kohlhaas gekommen). Etwas Kopfzerbrechen bereitet ein  Dichter und Verleger der jüngsten Vergangenheit, der sich im Reigen der Selbstmörder als thematischer Brückenbauer zwischen den „Generationen“ erweist. Da allein diese Figur nicht recherchierbar war, konnte ich erst im persönlichen Gespräch mit der Autorin erfahren, dass hier die Suche nach einer personalen Entsprechung vergeblich war, während in seiner Geliebten die ebenfalls suzidale Sylvia Plath verkörpert wird. Ein Roman, dem ich das Prädikat „Wertvoll“ verleihen würde, von höchster Sprachvirtuosität.

 

Die Witwen – ein Abenteuerroman
Jung und Jung, Salzburg und Wien, 2016

Es ist die Geschichte einer Reise von vier Frauen im besten Alter, die sich selbst und ihren Freundinnen unterwegs so ehrlich wie nie begegnen. Übrigens: Witwen sind sie alle nicht. Was ihnen gemeinsam ist, ist ein Fehlen von Etwas.

„Wir haben Heimweh nach etwas, das wir nicht kennen. Also müssen wir es suchen.“ Der Chauffeur, der sie durch unwegsames Gelände zu einem Stück Selbstoffenbarung führt, ist selbst „Privatgelehrter“ mit Lebenslangeweile. Launig, humorig, aber auch mit dramatischen, zur Selbstironie neigenden Offenbarungen der vier Temperamente wird mit geistreichem Erfindungswitz erzählt. „Die Zeit hat keinen Verlauf, sondern eine Ausdehnung.“ (S.210) Das Leben wird als ein Gewebe aus Ereignissen innerhalb eines Raumes Zeit beschrieben und gemeinsam versuchen sie, sich einen Weg zu bahnen, mit einem fahruntüchtigen Auto und einem Chauffeur, der eigentlich nicht an eine Zielführung von A nach B glaubt. Was scheinbar locker daherkommt, ist doch auch geprägt von einer Erfahrung der Vergeblichkeit. Erst bei genauerem Hinsehen zeigen sich auch hier intertextuelle Bezüge über die Namen der Frauen: Penny für Penelope, Beatrice, Laura und Dodo, zu manchen Namen gibt es mehrere mythologische Entsprechungen. Nicht interpretierbar sondern ein Faktum ist der Ort, an dem die Reflexionen aus dem beschädigten Leben stattfinden: auf dem Hartmannswillerkopf, der Ort einer Feldschlacht des ersten Weltkrieges.

 

„Die Witwen“ war 2016 auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Dagmar Leupold lebt als freie Schriftstellerin in München und leitete das Studio für Literatur und Theater der Universität Tübingen.

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