Wim Wenders: Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten

Die 1989 aufgezeichnete Filmbiographie zu Yamamoto von Wim Wenders beginnt mit der großen Frage nach der Identität und nimmt beeindruckend die Entwicklungen des digitalen Zeitalters vorweg, was den Zusammenhang technischer Reproduktion und Verlust an Originalität und damit auch Identität bedeutet: „Jede Unterscheidung scheint reine Willkür.
Wer will sich also darüber verwundern, dass der Begriff von Identität so auf den Hund gekommen ist.“

Hier das Original von Wim Wenders, kopiert aus dem digitalen Space 😉

Man wohnt irgendwo,
man macht irgendeine Arbeit,
man redet irgendwas daher,
man ernährt sich irgendwie,
man zieht sich irgendetwas an,
man sieht wahllos irgendwelche Bilder,
MAN LEBT IRGENDWIE,
MAN IST IRGENDWER.

„Identität“…
einer Person,
eines Dinges,
eines Ortes.
„Identität“.

Bei dem Wort allein
wird es mir schon warm ums Herz:
es hat einen Geschmack von Ruhe,
Zufriedenheit, Gelassenheit…
Was ist das, Identität?
Zu wissen, wo man hingehört,
seine Mitte kennen,
seinen Eigenwert?
Zu wissen, wer man ist?
Woran erkannt man eine Identität?
Wir machen uns ein Bild von uns selbst,
wir versuchen, diesem Bild ähnlich zu sehen…

Ist es das?
Der Einklang zwischen dem Bild,
das wir uns von uns machen und…
ja, uns selbst?
Wer ist das, „wir selbst“?

Wir leben in den Städten,
die Städte leben in uns…
die Zeit vergeht.
Wir ziehen von einer Stadt in die andere,
von einem Land in ein anderes,
wir wechseln die Sprache,
wir wechseln Gewohnheiten,
wir wechseln Meinungen,
wir wechseln die Kleidung,
wir verändern uns.
Alles verändert sich, und zwar schnell.
Vor allem die Bilder,
die Bilder um uns herum
verändern und vervielfältigen sich mit rasender Geschwindigkeit
seit jener Explosion, die die elektronischen Bilder freigesetzt hat,
die nun allüberall die Fotografie ersetzen,
wir haben gelernt dem fotografischen Bild zu vertrauen,
können wir dem elektronischen Bild trauen?

Mit der Malerei war alles noch einfach,
das Original war einzigartig und jede Kopie daher eine
Kopie, eine Fälschung.
Mit der Fotografie und dann dem Film wurde alles schon komplizierter,
das Original war ein Negativ, ohne Kopie existierte es gar nicht, im Gegenteil,
jede Kopie war ein Original.

Jetzt, mit dem elektronischen Bild und bald dem digitalen,
gibt es kein Negativ mehr, genausowenig wie ein Positiv.
Die Idee selbst vom Original ist hinfällig,
alles ist Kopie!
Jede Unterscheidung scheint reine Willkür.
Wer will sich also darüber verwundern,
dass der Begriff von Identität so auf den Hund gekommen ist.

 

Wim Enders: Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten
Prolog mit Rauschbild-Hintergrund und eingeblendeter Schrift

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