Lizzie Doron: „Who the fuck is Kafka?“

 Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Deutscher Taschenbuch Verlag, München, Erstausgabe 2015

Lizzie Doron, israelische Schriftstellerin, kam als Tochter einer Holocaust-Überlebenden über die Geschichte ihrer Mutter zum Schreiben. In ihrem jüngsten Buch „Who the fuck is Kafka“ erzählt sie mit großer Sensibilität über den Versuch einer israelisch-palästinensischen Freundschaft.

Auf einem Friedenskongress in Rom treffen sich Nadim, ein palästinensischer Journalist mit dem Traum, Filme zu machen, und die Ich-Erzählerin, eine israelische Schriftstellerin. Von Anfang an ist ihre Beziehung von zwiespältigen Gefühlen begleitet, von einerseits einer großen Sympathie und andererseits immer wieder aufkommender Unsicherheit und Missverständnissen. Der Titel steht hier stellvertretend für viele kleine Situationen, in denen die Unterschiedlichkeiten der Kulturen zum Verhängnis werden für Verstehen. Es verbindet die beiden der Wunsch, etwas für die Völkerverständigung zu tun und die große Sehnsucht nach Frieden. Sie entwickeln die Idee, einen Film über ihre Freundschaft zu drehen und ein Buch darüber zu schreiben.

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Dabei wird sehr schnell klar, dass der Umgang miteinander für den „Besetzten“ eine andere Herausforderung bedeutet, als für die „Besatzerin“. Gerade in der Konfrontation miteinander kommen die Verletzungen und vor allem auch die Ängste, auch die, die aus Vorurteilen bestehen, ans Tageslicht. Mit großem Feingefühl und Selbstzurücknahme erzählt die Autorin von den emotionalen Momenten der Begegnungen, in denen sie immer wieder durch plötzliche verbale Angriffe seinerseits aus der Bahn geworfen wird. Kaum vorstellbar sind die psychischen Belastungen für die Familie Nadims durch die Besatzung und die ständige Angst und Unsicherheit. Für seine Frau Leila muss er jedes Jahr aufs Neue eine Aufenthaltsgenehmigung erwirken, dabei darf sie Jerusalem nicht verlassen und lebt wie eine Gefangene in ihrem eigenen Haus. Eigentlich, so Lizzie Doron, ist Leila die Hauptfigur. An ihrem Schicksal wird gezeigt, wie weit entfernt die Vorstellung friedlichen Zusammenlebens von der Realität ist. Der Kampf der erzählenden Friedensaktivisten geht bis vor Gericht gehen und internationale Gremien werden eingeschaltet, um die Situation einer einzelnen Person und ihrer Familie etwas erträglicher zu gestalten. Die absurdeste Schilderung ist Nadims Erzählung der Hochzeit: aufgrund eines Vorfalls, der zu zusätzlichen Straßensperren führte, konnten Braut und Bräutigam nicht zusammenkommen und mussten

ihre Hochzeit getrennt voneinander feiern. Überhaupt, die Straßensperren: Nadim besitzt eine Karte mit in unterschiedlichen Farben eingetragenen Standorten, den festen, den wechselnden, den willkürlichen Straßensperren. Und immer wieder versucht er, sich mit Humor zu retten, wenn er erzählt, dass die Stunden des Wartens an so einer Sperre zu den schönsten des Tages gehören, weil er hier in Ruhe träumen kann.

Die Erzählerin baut eine Freundin ein, Dvora, eine Palästinenser–Sympathisantin, die ihr immer wieder die seltsamen Reaktionen Nadims erklärt. Vor allem die berechtigten Ängste, denn, das ist eine der furchtbaren Entwicklungen dieses andauernden Krieges, die Bedrohung geht nicht nur von den anderen aus, sondern auch vom eigenen Volk. Wer sich mit den anderen anfreundet, ist ein Verräter. Die Familie wird mit in Kollektivhaftung genommen. Die Freundschaft zwischen den beiden ist deshalb eine Bedrohung für Nadim und für seine ganze Familie.

Auch die Rolle der Religion wird von ihm eindrücklich geschildert. Für ihn, der ein Vertriebener ist, ein heimatloser im eigenen Land, hat die Religion die bedeutendste identitätsstiftende Aufgabe übernommen. Und es ist das Einzige, das ihm geblieben ist, was er seinen Kindern weitergeben kann. Erschütternde Zusammenhänge tun sich aus dieser Perspektive auf.

Der geplante Film wird zu einem Paradox. Überall, wo die beiden auftauchen um einzelne Szenen aufzunehmen, begegnen sie Hass und Ablehnung, auch tätlichen Angriffen können sie nur mit Müh’ und Not entgehen. Der Wunsch, eine israelisch-palästinensische Freundschaft filmisch festzuhalten belastet diese Freundschaft ständig bis an ihre äußersten Grenzen.

Immerhin, das Buch ist entstanden. Lizzie Doron erklärt, dass die Figur Nadim aus mehreren Personen zusammengesetzt sei, die sie kennt. Auch diese Geschichte hat, wie die anderen Bücher der Autorin, autobiographische Elemente. Sehr eindrucksvoll, sie selbst erzählen zu hören im Interview auf dem Blauen Sofa, der Leipziger Buchmesse 2015.

Der Roman über diese zugleich wunderbare und unmögliche Freundschaft konnte bislang in Israel oder Palästina nicht erscheinen. Bei aller Hoffnungslosigkeit der politischen Situation dort sind aber doch immer wieder die einzelnen Aktivisten, wie auch diese Schriftstellerin, die etwas zu bewegen versuchen und, wie in diesem Fall, mit ihrer Literatur zumindest dazu beitragen, die Zusammenhänge differenziert aus multiplen Perspektiven zu betrachten und auch zu skandalisieren, diejenigen, die die Hoffnung weiter tragen.

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