Maria Braig: Die Nordseeprinzeßin

Maria Braig ist eine engagierte Autorin, die ich persönlich auch als solche kennengelernt habe. Wir hatten vor Jahren hier eine Lesung mit ihr und ich durfte schon mehrere ihrer Bücher rezensieren, z.B. Zu Hause in Deutschland – Gleiche unter Gleichen?
Ihr Kernthema: Selbstermächtigung, aber das beschreibt sie selbst am besten:

„Meine Geschichten erzählen von starken Frauen und Mädchen aus unterschiedlichen Ländern auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben; von Menschen, die nach einem besseren Leben suchen und wie wir uns zu ihnen verhalten. Es geht um Vielfältigkeit, um Queerness, um Anderssein oder darum wie man Menschen zu „den Anderen“ macht, um Sexismus, Rassismus – um das Leben im Alltag geradeso wie im Ausnahmefall (manchmal nähert sich beides ja auch stark an).“
http://www.maria-braig.de/

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Daniela Holsboer: Der Zauber des Berges

Mit dem Hinweis „Die wahre Vorgeschichte von Thomas Manns Zauberberg“ legt Daniela Holsboer die Erwartungslatte hoch an für ihren Debütroman. Ob es zur Überschätzung führt oder dem Roman guttut – vermutlich beides. Es weckt auf jeden Fall Interesse, zumal bei Thomas Mann-Interessierten.

Tatsächlich ist diese Geschichte von der Faktenlage her die Entwicklungsgeschichte des Bergdorfes Davos hin zum international beliebten Kurort für Lungenerkrankungen und somit die Vorgeschichte zur Entwicklung des mondänen Ortes, explizit der Schatzalp, die in Anlehnung mit zum Schauplatz des „Zauberbergs“ wurde. Von diesen Fakten abgesehen hat dieser Roman nichts mit Thomas Manns Zauberberg zu tun, allerdings hätte „Der Zauberberg“ so nicht entstehen können, wenn nicht Willem Jan Holsboer sein Leben der Entwicklung und Gestaltung dieses Ortes gewidmet hätte.

„Dieser Roman beruht auf wahren Begebenheiten.

Und dem magischen Rest.“

S.7

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Sasa Stanisic: Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne

Vor Jahren durften wir ihn hier in Isny live erleben, diesen sympathischen Autor, dessen Besonderheit darin besteht, der Welt, dem Leben, seinen Figuren mit eben dieser Sympathie und Zuneigung zu begegnen, dass man als Leser*in gar nicht anders kann, als sie alle ins Herz zu schließen mit all ihren Eigenarten. Die zwölf Geschichten, deren Zusammenhang sich erst im letzten Kapitel erschließt – weshalb es sich empfiehlt, der Reihe nach zu lesen – beginnen mit einem Gedankenexperiment. Was, wenn man einen „Anproberaum“ für die Zukunft, für künftige Erlebnisse, erfinden könnte und Menschen könnten schon mal testen, könnten ihr zukünftiges Ich für einen Moment anprobieren? Auf diese Idee kommen die vier Jugendlichen mit unterschiedlichen Migrationshintergründen, die in einem Brennpunktviertel leben und die sich die Zukunft nicht leisten können.
Manche Geschichten handeln im Kern von der Familie, oder von der Liebe, von der Freundschaft oder davon, wie ein Autor zum Schriftsteller wird. Ob Heinrich Heine oder Heinrich Kleist, die Gaststätte „Krug“ fördert jedenfalls vielerlei Assoziationen.

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Richard Powers: Das grosse Spiel

„Ganz klar der Ozean.“ Das ist das Zentrum der Geschichte, Anfang und Ende, Mittelpunkt und Basis eines Romans um die große Freundschaft, die große Liebe, die Leidenschaft der Berufung und die Sehnsucht nach Weltgestaltung. Dabei spielen KI und Soziale Medien eine bedeutende Rolle. Die unerforschte Tiefsee und die unerforschte Reichweite der künstlichen Intelligenz in Analogie zu setzen, ist einer der cleveren Schachzüge dieses Romans.

Alles scheint eine größere Reichweite und mehr Zusammenhänge zu haben, als auf den ersten Blick zu vermuten wäre. Die Fäden laufen zusammen auf einer Insel, auf Makatea, einer zu französisch-Polynesien gehörenden Koralleninsel, einst ein Naturatoll, dann eine zeitlang während des vergangenen Jahrhunderts geprägt von Gastarbeitern, Gruben und Industrie, um 60 Jahre lang Phosphat abzubauen. Nun wieder ein Naturparadies und Heimat für weniger als hundert Menschen.

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Mirko Bonné: Alle ungezählten Sterne

Mirko Bonné, eine meiner liebsten Autoren, hat eine Geschichte vorgelegt, in der wieder einmal Brücken eine große Rolle spielen, wie in seinem Roman „Nie mehr Nacht“. Hier nun, als sich der Brückenkommissar Dr. Benno Romik mit einer tödlichen Diagnose konfrontiert sieht und sich fragt, was diese letzte Phase wohl sein wird, wie noch leben möglich ist („Die Lebendigkeit wird Erinnerung.“ S.9 ), da sind die Brücken natürlich die beste Metapher, nach rückwärts, nach vorwärts, ins Mögliche und ins Unmögliche.

Eine Brücke hängt in seinem Wohnungsflur, sieben Meter lang – ungefähr – gebaut mit der Tochter, zu der er keinen Kontakt mehr hat und keine Brücke findet. Ereignisse, die lebensprägend waren, bleiben teilweise im Dunkeln, denn wo keine Brücke sichtbar ist, kann auch keine Klarheit über Anfang und Ende, über Gründe und Ursachen bestehen.

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Ilona Jerger: Lorenz

Das sind die Bücher, die im Gedächtnis bleiben. Die Geschichten von Menschen, die etwas bewirken, für die Menschheit, in diesem Fall auch für das Tierreich, für die Natur, die für ihre großartigen Leistungen ausgezeichnet wurden – für Konrad Lorenz war es der Nobelpreis – und die gleichzeitig auch widersprüchlich in sich sind, die Abgründiges denken oder tun und eben auch menschlich, allzumenschlich sind. Ich war sehr gespannt auf dieses Buch, denn bekanntermaßen hat Konrad Lorenz auch eine NSDAP Vergangenheit.

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Anja Jonuleit: Sonnenwende

Im ersten Teil der Dilogie, „Kaiserwald“, hat Anja Jonuleit mehrere Handlungsstränge aufgemacht, in der Vergangenheit und in der Gegenwart, und die Geschichten ineinanderspielen lassen. Vermutungen zu Personenidentitäten und zu Zusammenhängen aus Vergangenheit und Gegenwart taten sich auf und machten das Warten auf den zweiten Teil spannend.
Und der zweite Teil hält, was er verspricht. In vielerlei Hinsicht ist der Roman „Sonnenwende“ Schritt für Schritt eine Auflösung der Rätsel des ersten Teils. Und wie es Anja Jonuleit immer im Schreiben unternimmt, ist die Hintergrundgeschichte eine durch und durch politische, ein politischer Skandal.

Penelope bekommt 25 Jahre nach dem Verschwinden ihrer Mutter Rebecca eine rätselhafte Nachricht. Die veranlasst sie dazu, sich einer Geldadel- und Diplomaten-Familie anzunähern, die sie mit diesem Verschwinden in Zusammenhang bringt. Und da sind diese Ökodörfer, eine Stiftung, dubiose Geldverschiebungen, denen sie nach und nach auf die Spur kommt, um am Ende selbst beinahe Opfer von Anhängern einer demokratiefeindlichen Gesinnung zu werden. Spannend und mit unerwarteten Überraschungen bis zum Schluss, öffnet Anja Jonuleit hier ein ganz dunkles Kapitel der deutschen Gegenwart.

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Fjodor M. Dostojewski: Schuld und Sühne

Letztes Jahr liebte ich „Die Brüder Karamasow“, den letzten der fünf großen Roman Dostojewskis, und dieses Jahr bin ich in „Schuld und Sühne“ versunken, eigentlich der erste seiner Romanreihe. Er spielt zur selben Zeit wie „Die Brüder Karamasow“, um 1865 herum im alten Russland, er ist Gesellschaftskritik, Europakritik, Kritik des modernen Lebens und vieles andere und er bedient sich auch dieses besonderen Stilmittels, die menschliche Psyche unter ein Mikroskop zu legen, sie zu sezieren und durch das Anhalten der Zeit in all ihren Nuancen und Widersprüchlichkeiten zu zeichnen. Es vergehen nur acht Tage in diesem Roman und die ersten Tage, in denen der Protagonist Raskolnikow mit sich hadert und dauernd auf Messers Schneide tanzt, diese ersten Tage waren für mich eine Herausforderung in der Lektüre. Beinahe war ich versucht, das Buch wegzulegen. Das erste sind die fürchterlich verzweifelten Lebensumstände, die Raskolnikow dazu treiben, über den Mord an einer Wucherin nachzudenken, bei der er schon mehrere Dinge für wenig Geld versetzt hat. Das zweite, was beinahe nicht auszuhalten ist, ist seine Somatisierung der Selbstzweifel und der Verzweiflung am Leben.

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Karl Ove Knausgard: Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit

Ein Bildungsroman, ein Liebes – und Ideenroman, über das Zeitgebundene und über das Ewige und Unveränderliche – so wird dieser Roman auf dem Klappentext beschrieben. 1050 Seiten stark ist das Werk, dem ich nicht immer mit der versprochenen Spannung folgen konnte. Es gab schon andere Knausgard Bücher, in denen kein Satz zu viel, keine Seite überflüssig gewesen wäre. Das empfinde ich hier nicht so.
Die Entwicklungsstränge einiger, völlig unterschiedlicher Figuren werden zunächst getrennt voneinander beschrieben. Der junge Syvert kommt nach seinem Militärdienst im Jahr 1986 nach Hause zurück und versucht, sich die Vergangenheit seines vor zehn Jahren durch einen Unfall verstorbenen Vaters zu erschließen und damit seiner eigenen Lebensgeschichte ein wenig näher zu kommen. Dabei stößt er auf eine ihm bis dahin verborgene Liebesgeschichte mit einer unbekannten russischen Frau. Dieser Teil umfasst nahezu die Hälfte des Buches und ist – zumal Syvert eher durch Ödnis gekennzeichnet ist, als durch Lebendigkeit, ein ziemlich langer Strang der Beschreibung des Verlorenseins.

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Mohamed Mbougar Sarr: Die geheimste Erinnerung der Menschen

Der mit dem Prix Goncourt ausgezeichnete Roman des französisch senegalesischen Autors erfreut sich durchgängig begeisterter Rezensionen und so hat auch mich dieses Buch – noch bevor ich irgendeine davon gelesen hatte – gepackt und ich war schon lange nicht mehr in einem solchen Sog. Das Buch löst Neugierde aus, Wissensdurst, , allerhand Emotionen die sich in rasantem Tempo abwechseln und einfach nur Lust am Lesen machen, wie selten ein Buch.

Auf der Suche nach einem verschollenen Autor, T.C. Elimane, begibt sich der junge Schriftsteller Diégane auf Spurensuche – durch die Zeit und über die Kontinente und in die tiefsten Erinnerungen seiner Cousine Siga D. Über den, wie sein Autor, verschollenen Roman, das „Labyrinth des Unmenschlichen“, erfahren wir nicht so wahnsinnig viel, nur dass er in seinem Aufbau und seiner Zitation der großen Werke der Menschheit einzigartig sei. Und was er auslöst ist ein Literaturstreit, in dem sich der Kulturkonflikt ganz offen zeigt, mit allen Ressentiments und rassistischen Ideologien.

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