Bildungsideal in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“

Die Genese von Goethes Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ erstreckte sich über einen ungewöhnlich langen Zeitraum. Die „Theatralische Sendung“ (Urmeister) schrieb er zwischen 1777 und 1785, die Druckfassung der Lehrjahre entstand erst 1791-96. Es liegen also beinahe 20 Jahre zwischen dem Beginn des Werkes und seiner Vollendung, 20 Jahre, in denen die unterschiedlichen Bildungsdiskurse der Zeit ihre Spuren im Roman hinteließen: Selbstverwirklichung und  persönliche Freiheit werden erreicht durch den Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen (Imanuel Kant), aber unter Miteinbeziehung des gefühlsbestimmten Anteils (Jean Jacques Rousseau). Der Wilhelm Meister wird zu den Klassikern gezählt: durch die Bändigung des Gefühlskults der Empfindsamkeit zur Gefühlskultur wird mit didaktischem Gepräge die Entwicklung hin zu einer harmonischen Persönlichkeit beschrieben. Exemplarisch für das Erziehungsprogramm der Weimarer Klassik wird durch eine naturgemäße Erziehung als Ziel die harmonisch ausgebildete Individualität erreicht, die das Individuum dazu befähigt, sich innerhalb des Gemeinwesens voll zu entfalten. Ein idealisiertes Modell der Persönlichkeitsentwicklung mit dem erziehungsoptimistischem Anspruch, das heute noch besticht, weil es den Anschein erweckt, dass Identitätsstiftung erfolgt, wenn in den Wirren der Adoleszenz „Bildung“ eine Richtung weist.

Der besondere Trick im „Meister“: Wer nach seiner gesunden Natur lebt, braucht keine Restriktionen um einen  für sich und seine Umwelt angemessenen Lebensweg zu finden.

Der „Meister“ ist der Roman, auf den erstmalig die Bezeichnung „Bildungsroman“ als Zuordnung zurückgeht. Bildung als Mittel, um die Seele zu verfeinern, den Geist zu veredeln. Nicht umsonst fällt die deutsche Klassik zusammen mit dem deutschen Idealismus.

Text: Projekt Gutenberg

Zu Goethe und zu weiteren Fassungen des Textes: Projekt Gutenberg

 

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