Martina Altschäfer: Andrin

Eine Ghostwriterin macht sich auf den Weg nach Italien, um dort entspannt in Klausur zu gehen, für ein Premium-Projekt ihres Verlags, bei dem sie für einen von seiner eigenen Großartigkeit geblendeten Unternehmer eine Biographie verfassen soll. In den Schweizer Bergen landet sie durch verschiedene Umstände und eigenen Trotz in einem Bergdorf, in dem sie dann völlig unerwartet Monate verbringt. Und hier beginnt die zauberhafte Geschichte eines „nebenbei“ ereigneten Ausstiegs in eine Landschaft und eine Atmosphäre, in die die Leserin der Protagonistin sofort folgen möchte. Auch wenn die Berglandschaft keineswegs heimelig beschrieben wird, sondern allem etwas Unwägbares anhängt, so ist doch das Sich-Einfügen in die Umgebung von einem magischen Zauber begleitet. Weiterlesen „Martina Altschäfer: Andrin“

Francois Lelord: Es war einmal ein blauer Planet

Francois Lelord, ehemals praktizierender Psychologe und Psychiater in Paris, wurde bekannt mit seinen Romanen über den Psychiater Hector, der sich überall auf der Welt auf die Suche macht, nach dem Glück, nach dem Sinn, nach der Liebe, nach einem neuen Leben.
In „Hectors Reise oder Die Suche nach dem Glück“ schreibt er:

„Lektion Nr. 12: Glück ist schwieriger in einem Land, das von schlechten Leuten regiert wird.“

Alle seine Bücher sind ein bisschen Roman, ein bisschen Lebensratgeber, ein bisschen Suche nach vereinfachenden Antworten für die komplexen Fragen des Lebens. Mit seinem neuen Buch „ Es war einmal ein blauer Planet“ wagt er nun einen Blick in die Zukunft und es fallen viele seiner bisherigen Fragen thematisch zusammen: Was braucht es für eine Gesellschaft, damit ihre Mitglieder glücklich sein können? Welche Formen kann Liebe darin annehmen? In was für einer Welt wollen wir leben? Weiterlesen „Francois Lelord: Es war einmal ein blauer Planet“

Jean Ziegler: Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten

Jean Ziegler verfasst ein Plädoyer gegen das Wegschauen, gegen die Gleichgültigkeit gegenüber den unmenschlichen Zuständen in den sogenanten „Hotspots“ auf dem europäischen Kontinent, den Lagern für geflüchtete Menschen. Es widerspricht jeglicher Logik, Menschen in riesigen Lagern, namentlich in Moira auf der Insel Lesbos unter den skandalösesten Bedingungen zusammenzupferchen, um dadurch „Abschreckung“ für künftige Flucht zu erzielen. Vom Krieg, vom Hunger, von Klimakatastrophen, von politischer Verfolgung traumatisierte Menschen werden ihr Herkunftsland trotzdem verlassen. Und es widerspricht jedem Völkerrecht, Menschenrecht, Recht auf Asyl. Und es ist die Schande Europas, das hinzunehmen. Weiterlesen „Jean Ziegler: Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten“

Alexander Kluy: Alfred Adler – Die Vermessung der menschlichen Psyche

Alexander Kluy erzählt in dieser Biographie über Alfred Adlers Entwicklungsgeschichte und ihre historischen Zusammenhänge gleichzeitig auch eine Geschichte der Psychologie und im Besonderen der Psychoanalyse. Alfred Adlers Ansatz konzentriert sich – im Unterschied zu Sigmund Freuds Ätiologie der Neurose aus einem Triebdeterminismus – auf die sozialpsychologisch bedeutsamen Elemente von Sicherheit, Selbstwert- und Gemeinschaftsgefühl. Seine Individualpsychologie betrachtet den einzelnen in einem systemischen Zusammenhang. Von sozialmedizinischer Warte ausgehend betrieb er Sozialpolitik, indem er Anfang des 20. Jahrhunderts Erziehungsberatungsstellen in Wien gründete, deren Konzept sich bald in Europa an vielen Orten wiederfand. Das Menschenbild Alfred Adlers ist ein durch und durch philanthropisches und optimistisches. Weiterlesen „Alexander Kluy: Alfred Adler – Die Vermessung der menschlichen Psyche“

Jean Ziegler: Was ist so schlimm am Kapitalismus – Antworten auf die Fragen meiner Enkelin.

Der Schweizer Soziologieprofessor Jean Ziegler ist mir  2005 zum ersten mal begegnet in dem mehrfach ausgezeichneten Film „We feed the world“ des österreichischen Filmemachers Erwin Wagenhofer.  Die Kritik an der Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion richtete ihren Fokus auf die EU, auf die Ausbeutung der Natur und der Nutztiere, und vor allem auf die Ungleichgewichte, die weltweit durch unsere Übernutzung entstehen. Jean Ziegler war damals UN-Botschafter für das Recht auf Nahrung und UN-Sonderberichterstatter (2000 – 2008), und ich werde im Leben nie seine Beschreibung in diesem Film vergessen, wie eine Mutter in der armen ländlichen Region des reichen Brasiliens am Abend Steine in eine Pfanne mit kochendem Wasser legt und ihren vor Hunger weinenden Kindern sagt: „Wartet nur bis sie weich gekocht sind“ – in der Hoffnung, dass sie irgendwann einschlafen. Weiterlesen „Jean Ziegler: Was ist so schlimm am Kapitalismus – Antworten auf die Fragen meiner Enkelin.“

Michel Houellebecq: Serotonin

Der Klappentext verspricht eine Abrechnung mit der modernen Gesellschaft, der Wirtschaft, der Politik – und mit sich selbst. Durch Zweidrittel des Romans habe ich gewartet auf diese Abrechnung, bis mir klar wurde, dass die Perspektive des um sich selbst kreisenden Individuums zur Abrechnung gar nicht fähig ist, es nimmt die Außenphänomene allenfalls zur Bestätigung seiner selbstzerstörerischen Stimmung auf.
Nun ist Serotonin ein Hormon und Neurotransmitter, der über das Zentralnervensystem erheblich auf die Stimmung wirkt, auf verschiedene Funktionen in mehreren Körpersystem und unter anderem die Blutgerinnung. Wo Serotonin fehlt, verstopft das System. In seiner schlechtesten Phase, nach einer Beziehung mit einer Nymphomanin, verkriecht sich der Protagonist in einem Ferienhaus bei einem alten Schulfreund, dessen Landwirtschaftsbetrieb vor dem Aus steht. Die Milchquote. Weiterlesen „Michel Houellebecq: Serotonin“

Hannes Wader: Trotz alledem. Mein Leben

„Trotz alledem“, ein Unabhängigkeitssong aus dem alten Schottland um 1795, begleitet Hannes Wader über lange Etappen seines Lebens in variierender Gestalt und gibt schließlich einen wunderbaren Titel ab, für eine Autobiographie eines eigenwilligen Musikers, bei dem man sofort einen Namen, einen Zeitgeist, ein Gefühl im Kopf hat.

„Allein bei der Vorstellung, mich derart einzuengen, meinen Tag zu planen, am Vorabend schon festzulegen, was ich am nächsten Vormittag tun und was ich am Nachmittag lassen werde, bekomme ich Bauchschmerzen.“ S.299 Weiterlesen „Hannes Wader: Trotz alledem. Mein Leben“

Jürgen Wertheimer: Europa. Eine Geschichte seiner Kulturen

Was ist Europa? Ein Kontinent, eine geopolitische Zone, eine Wirtschaftsgemeinschaft oder ein Werteverbund? Jürgen Wertheimer, Professor für neuere deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen, versucht für uns entschlüsseln, wo Europa herkommt, angefangen bei seinen Gründungsmythen, wie es sich entwickelt hat im Laufe von Jahrhunderten, geprägt von Widersprüchen, und wo es hingehen könnte bei allen Unterschiedlichkeiten in der humanen Entwicklung. „Europa fehle die Narration, die große Erzählung (S.14)“. Diese Erzählung baut er zusammen aus Mythologie, Politik und Literatur. Wo andere TheoretikerInnen die Chance für Europa in einem engeren Verbund aus gemeinsamer Sozial- und Fiskalpolitik sehen, ist Wertheimer der Auffassung, dass es bei allem Respekt vor den Unterschiedlichkeiten allenfalls zu einer „Freihandelszone kontroversen Denkens“ (S.518) gereicht. Darin sieht er die Chance, zu einer kleineren Einigkeit zu kommen, ohne Zäune dazwischen, denn: Europa muss lernen, seinen überaus elaborierten Code ernst zu nehmen und unterschiedliche Wertesysteme auf Ähnlichkeiten, Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Inkompatibilitäten hin zu befragen. (S.514/15) Weiterlesen „Jürgen Wertheimer: Europa. Eine Geschichte seiner Kulturen“

Sasa Stanisic: Herkunft

„Du übertreibst: Herkunft als Wimmelbild mit Drachen? Und einer überwacht den Steg über den Fluss in die jenseitige Welt?“
„Es ist dein Steg, Oma.“ (S.355)
Das Erzählen hält sie nicht am Leben, aber die Erinnerung lebendig. „Herkunft“ ist ein Roman, ist eine Geschichte, die abbildet und erfindet zugleich. „Fiktion, wie ich sie mir denke, sagte ich, ist ein offenes System aus Erfindung, Wahrnehmung und Erinnerung, das sich am wirklich Geschehenen reibt – “ (S.20)
Natürlich hat er es drauf, der Preisträger des Deutschen Buchpreises 2019, genau dieses Versprechen einzulösen, ins Geschriebene umzusetzen: „Herkunft“ ist die Erzählung seiner Migrationsgeschichte, der Wurzeln in Visegrad im ehemaligen Jugoslawien, ist die Geschichte erfüllter und unerfüllter Träume und Sehnsüchte und ist ein Abschied. Anlass ist der Tod der an Demenz leidenden Großmutter. Mit ihrem Blick, der die sie umgebenden Dinge erkennt und auch nicht mehr erkennt, versucht Stanisic, sich ein Bild seiner Herkunft zu machen. Weiterlesen „Sasa Stanisic: Herkunft“

Dirk Steffens/Fritz Habekuss: Überleben. Zukunftsfrage Artensterben: Wie wir die Ökokrise überwinden

„Dies ist ein Buch über den Gesang der Vögel, über die Vielfalt der Natur und die Schönheit der Erde. Über das Netz des Lebens und darüber, wie alles mit allem zusammenhängt.“
Da sind zwei Autoren, die sich mit wissenschaftsjournalistischem Anspruch mit dem Thema des Artensterbens auf unserem Planeten befassen. Und da ist eine Amsel, die singt und als zugegebenermaßen kitschiges Bild die Liebe zur Natur über das Alltägliche, oft nicht bewusst wahrgenommene, transportiert. Und da ist ein Schrecken, gleich im Vorwort. Es gäbe keine Luft, kein Wasser, keine Erde, ohne Biodiversität. „Nicht einmal die eng damit verbundene Klimakrise bedroht uns so sehr in unserer Existenz – sie gefährdet zwar die Art, wie wir leben, aber nicht ob wir leben.“ (S.8) Das scheint mir angesichts der vielen, vielen Menschen, die durch den Klimawandel ihr Leben verlieren, direkt und indirekt, eine schwierige Aussage. Diese Provokation steht nun im Raum, von der zweiten Seite an. Weiterlesen „Dirk Steffens/Fritz Habekuss: Überleben. Zukunftsfrage Artensterben: Wie wir die Ökokrise überwinden“

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