Anna Seghers: Das siebte Kreuz

„Dieses Buch ist den toten und lebenden Antifaschisten Deutschlands gewidmet.“

Anna Seghers’ umfangreicher Roman über die Verhältnisse im Hitler- Deutschland der späten dreißiger Jahre zählt zu den epischen Werken, die nie an politischer Aktualität verlieren. Ihre Widmung auf dem Vorsatzblatt ist gerade jetzt brandaktuell und zeigt, von welcher Brisanz die Thematik ist und von welcher Bedeutung, sich mit der Geschichte und der Literatur dieser Zeit auseinanderzusetzen.

Beinahe wäre eines der wichtigsten Bücher der Exilliteratur nie zur Veröffentlichung gekommen. Auf ihrer Odyssee von Paris über Madrid, Moskau, beendete sie 38/39 den Roman in Paris, flüchtete weiter über USA, Mexiko, Polen, USA, wo Das siebte Kreuz 1942, nachdem zwei Manuskripte verloren gegangen waren, erstmals erschien. Obwohl sie Deutschland inbereits 1933, kurz nach Hitlers Machtergreifung verlassen und erst 1947 in Berlin wieder deutschen Boden betreten hat, konnte sie sich auf authentische Informationen von ehemals Inhaftierten aus dem KZ Sachsenhausen in ihrer Geschichte beziehen. Die Schicksale der politisch Inhaftierten werfen ein eindeutiges Licht auf die Struktur des Faschismus und seine Vollstrecker in den ersten Jahren des Nationalsozialismus. Und auf die Fähigkeit couragierter Menschen, diesem Machtgebaren zu jeder Zeit etwas entgegenzusetzen. Seine fesselnde Wirkung zieht der Roman nach wie vor aus der Botschaft, dass der Nationalsozialismus besiegbar sei. Auch unter den Vorzeichen von Angst und Gewalt ist es die persönliche Haltung, die persönliche Entscheidung, die den Einzelnen zum Unbesiegbaren macht.

Es ist die Geschichte eines Ausbruchs von sieben Gefangenen aus einem KZ, von denen nur einer überlebt. Ein Entkommener wird zum Hoffnungsträger aller Antifaschisten und alle Helfer zu persönlichen Helden.

Anna Seghers knüpft vielerlei Assoziationsbilder in ihre Geschichte, sie nimmt Anleihen bei Homer, Dante und der Bibel, um durch die Kraft der Symbolik das Zeitlose des Geschehens zu unterstreichen. Was aber am meisten beeindruckt, ist die Vielschichtigkeit der vorgestellten Charaktere. Es gibt aus allen Gesellschaftsschichten, aus allen Milieus Verräter. Ihre Gründe sind so unterschiedlich wie ihr Verhalten. Die einen denunzieren aus Angst, die anderen aus blinder Unterwürfigkeit, andere, um beruflich überleben zu können, wieder andere unter sozialem Druck und manche aus reiner Bosheit. Es wird kein einseitiges Bild der Denunzianten gezeichnet. Die meisten unterliegen ihrer Angst und das Gefühl des Entsetzens darüber, wie schrecklich Zustände sind, in denen man niemandem trauen kann, prägt sich tief ein. Genauso vielfältig sind aber auch die Gründe derjenigen, die dem Flüchtenden auf irgendeine Art helfen oder beistehen wollen. Es sind Charaktere, die nach wie vor ihrer politischen Überzeugung treu im Untergrund gegen das Regime arbeiten. Es sind aber auch Menschen dabei, die direkt aus dem Herzen heraus hilfsbereit reagieren und sich gegen die eigene Angst auflehnen. Menschen, die erst in der Notwendigkeit, welche die Situation gebietet, ihre politische Dimension des Handelns entdecken. Die Varietät der Wege des Humanen ist der eigentliche Gewinn an der Lektüre dieses Buches. Trotz aller wahrhaft erschreckenden Einblicke die das Buch in niederes menschliches Gebaren auf Seiten derer, die vermeintlich am längeren Hebel sitzen, gewährt, ist es doch ein Mutmachbuch und es endet mit einem auf ewig gültigen Satz: „Wir fühlten alle, wie tief und furchtbar die äußeren Mächte in den Menschen hineingreifen können, bis in sein Innerstes, aber wir fühlten auch, dass es im Innersten etwas gab, was unangreifbar war und unverletzbar.“

Das Buch habe ich erneut ausgegraben, weil es gerade jetzt wieder die gefährlichen Mechanismen einer faschistischen Einflussnahme unter die Lupe nimmt. Durch Populismus und Propaganda verblendete Menschen entziehen sich selbst und allen anderen den Blick auf das höchste Gut: die Freiheit. Und was mich wieder tief beeindruckt hat neben einer kunstvollen Komposition mehrerer Handlungsstränge ist vor allem die Komplexität der Charaktere. Anna Seghers gibt sich nirgends mit Stereotypen ab, sondern zeichnet Figuren, die sich durch ihre inneren Kämpfe ihrer Überzeugung immer wieder selbst vergewissern müssen. Was aber dann entsteht, geht weit über das Persönliche hinaus. Es ist die Kraft der Solidarität, die diese Menschen zu Unbesiegbaren macht.

Anna Seghers: Das siebte Kreuz. In Deutschland erstmals in Deutschland 1946 erschienen im Aufbauverlag, Berlin

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Neu erschienen ist 2015 im Aufbau Verlag, Berlin eine Ausgabe mit Originalillustrationen von 1942

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3 Kommentare zu „Anna Seghers: Das siebte Kreuz

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